Machtbeben in EuropaKeine Einigung auf neuen Regierungschef in Griechenland

Athen. Eklat beim Ringen um den neuen Regierungschef in Griechenland: Die regierenden Sozialisten haben sich mit den Konservativen gestern nicht auf einen Ministerpräsidenten für eine gemeinsame Notregierung verständigen können. Ein Treffen von Staatspräsident Karolos Papoulias mit den Parteiführern brachte am Abend keine Einigung

Athen. Eklat beim Ringen um den neuen Regierungschef in Griechenland: Die regierenden Sozialisten haben sich mit den Konservativen gestern nicht auf einen Ministerpräsidenten für eine gemeinsame Notregierung verständigen können. Ein Treffen von Staatspräsident Karolos Papoulias mit den Parteiführern brachte am Abend keine Einigung. Die Beratungen sollten laut Medienberichten heute fortgesetzt werden.Der sozialistische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hatte zuvor seinen Rücktritt angekündigt, um den Weg für eine "Regierung der nationalen Einheit" freizumachen. Als aussichtsreichste Kandidaten für das Amt des Regierungschefs wurden der frühere Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos, und der amtierende Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos gehandelt. dpa

Es ist kein Herbst wie jeder andere in Europa. Politische Stürme fegen vertraute Gesichter hinweg. Giorgos Papandreou hat den Versuch, die Sünden seiner Amtsvorgänger in Griechenland zu korrigieren, politisch nicht überlebt. Silvio Berlusconi entsagt dem lustvollen Leben eines Regierungschefs in Italien, weil die Gläubiger und Nachbarn des Landes wegen der Schuldenmacherei zunehmend unruhig werden. Und José Luís Rodriguez Zapatero ruft zu vorgezogenen Wahlen in Spanien, um einem anderen die wirtschaftspolitischen Aufräumarbeiten zu überlassen.

Europa erlebt nach dem Kriegsende 1945 und dem Fall der Mauer 1989 ein neues Machtbeben, bei dem es um deutlich mehr als den normalen Austausch von Regierungen geht. "Im Großen und Ganzen hat Europas Gesellschaft eingesehen, dass Jahrzehnte der Verschwendungssucht dem Kontinent einen fast tödlichen Schlag versetzt haben", analysiert Thomas Kleine-Brockhoff vom "German Marshall Fund of the United States" - und bedauert, dass die USA noch nicht ganz so weit seien.

Zur Einsicht, dass man auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben kann als man einnimmt und dass dies politische Folgen hat, trägt ein Blick auf die Zahlen bei. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für die Jahre 2011 und 2012 mit einem Wirtschaftswachstum in China zwischen 9,5 und 9,0 Prozent - für die Eurozone sind es gerade einmal 1,6 und 1,1 Prozent. Wichtige Entscheidungen sind schon seit einigen Jahren nicht mehr im Alleingang der einst großen Industriestaaten (G8) möglich, sondern eher in der größeren G20-Gruppe.

Vor wenigen Jahren wäre im reichen Wohlstands-Europa undenkbar gewesen, was sich derzeit tut. Die 17 Staaten mit Euro-Währung hoffen darauf, dass neue und künftige wirtschaftliche Großmächte wie China und Indien zur Rettung der Eurozone bereit sein mögen. Noch ungewöhnlicher sind die Ereignisse im Kreis der 27 EU-Staaten und in der Eurozone allein in den vergangenen vier Wochen. Erst wurde Berlusconi am Rande eines EU-Gipfels gesondert und halb öffentlich von einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern - darunter EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sowie Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy - aufgefordert, endlich etwas Drastisches gegen die Schulden seines Landes zu unternehmen. Richtig blank lagen die Nerven, nachdem Papandreou eine Volksabstimmung über seine Sparpolitik zur Sanierung der Staatsfinanzen ankündigte, ohne zuvor die Euro-Partner darüber zu informieren. Der Grieche wurde am Rande des G20-Gipfels in Cannes vorgeladen, um sich zu erklären. "Offen und meistens höflich" sei das Gespräch mit den führenden Euro-Politikern gewesen, formuliert ein Diplomat, der dabei war. Anschließend nahm Papandreou die angekündigte Volksabstimmung wieder zurück. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gab die Linie vor: "Was wir erwarten, ist eine Regierung der nationalen Einheit." So geschah es dann auch. "Das sind ganz neue Umgangsformen in Europa", sagt ein EU-Diplomat.

Seit Cannes ist ein möglicher Ausstieg oder Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone oder gar der EU auch offiziell nichts Unaussprechliches. "Alles hängt mit allem zusammen", sagt Van Rompuy. Denn die Schulden- und Eurokrise ist nicht die einzige, mit der sich die EU herumplagen muss. Der nächste EU-Gipfel soll am 9. Dezember sein - und auch er verspricht zum Krisengipfel zu werden. Dann kommt der Winter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort