Gebrüll, Flaschenwürfe und Hitlergruß

Berlin · Menschen flüchten vor der Gewalt in Syrien oder dem Krieg in Afghanistan. Die Zahl der Asylbewerber ist in Deutschland wieder deutlich gestiegen. Das führt immer häufiger zu lokalen Konflikten – und die NPD mischt kräftig mit.

Die Bilder erinnerten an Rostock, auch wenn das Asylbewerberheim nicht brannte. Drinnen verängstigte Flüchtlinge, draußen Gebrüll, Polizeisirenen, Flaschenwürfe, Hitlergruß. In Berlin-Hellersdorf ist am Montag der Konflikt um eine neue Flüchtlingsunterkunft eskaliert, als die ersten 15 Bewohner das umgebaute ehemalige Gymnasium bezogen. 150 Flüchtlinge sollen demnächst hier wohnen, aber die ersten verließen das Gebäude noch am gleichen Tag wieder. Aus Angst. Es sind Menschen, die den syrischen Bürgerkrieg oder Afghanistan hinter sich haben. Und sich nun in Deutschland fürchten. Diesen Konflikt gibt es derzeit landauf, landab. In Hannover-Bothfeld, wo sich Anwohner gegen den Neubau eines Asylberwerberheims wehren, ebenso wie in Stuttgart-Fellbach oder im hessischen Homberg, wo eine alte Klinik umgewidmet worden ist. Die Nachbarn fürchten Belästigung, Kriminalität oder den Wertverlust ihrer Häuser. Rechte Gruppen mischen kräftig mit. In Hellersdorf dominierte die NPD schnell die Bürgerversammlungen, im mecklenburgischen Blankensee jubelte sie, als der Landkreis sein Vorhaben wieder zurückzog: "Zusammen ist man stark."

Hintergrund der Entwicklung sind zum einen die ansteigenden Asylbewerberzahlen: Ein Plus von 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, also fast eine Verdoppelung, vermeldete Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bis Juli. Es wurden 52 750 Anträge in den ersten sieben Monaten gestellt. Die meisten von Russen aus der unruhigen Kaukasus-Region (rund 11 500), aber immer mehr von Syrern (5500) und Afghanen (4200). Die Zahlen liegen zwar noch weit unter dem Rekordwert von rund 450 000, der 1992 erreicht wurde. Doch kommt noch die Armutsmigration aus Südosteuropa hinzu. Allein im ersten Halbjahr 2012 kamen 88 000, darunter viele Roma.

Längst ist das Problem Wahlkampfthema geworden, wenn auch noch nicht so grell wie in den 1990er Jahren. Innenminister Friedrich etwa betonte zwar einerseits das Recht auf Asyl, andererseits aber auch, "dass der Aufenthalt derer, die nur aus missbräuchlichen Gründen zu uns kommen, schnell beendet werden muss". Die Städte fordern, dabei unterstützt von der SPD, ein Sonderprogramm des Bundes, damit ihnen finanziell geholfen wird.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach regte gegenüber unserer Zeitung an, dass sich Bund, Länder und die Spitzenverbände der Kommunen kurzfristig an einen Tisch setzen sollten. Man dürfe die Probleme keinesfalls den Rechtspopulisten überlassen. Erstes Ziel sei es, die Fluchtursachen zu beseitigen, zweites, die Asylverfahren zu beschleunigen. Und drittens müssten die Kommunen unterstützt werden. Bosbach warnte die Städte davor, leer stehende Großobjekte wie Krankenhäuser oder Schulen als Unterkünfte zu nehmen, um auf diese Weise möglichst viele Flüchtlinge auf einen Schlag unterzubringen. "Man muss die Sorgen der Anwohner ernst nehmen". Nach Ansicht der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sind nicht die steigenden Flüchtlingszahlen das Problem, sondern die gezielten Aktivitäten der Rechtsextremen. "Man muss die Rechten in ihre Schranken weisen." Vor diesem Hintergrund müssten Standortentscheidungen für die Heime allerdings sehr sorgsam getroffen werden. "Dazu gehört jeweils auch ein umfassendes Sicherheitskonzept." In Hellersdorf sei sehr lax mit dem Thema umgegangen worden, kritisierte Künast.

In dem Plattenbauviertel geht der Konflikt heute weiter. Die rechtspopulistische Partei "Pro Deutschland" will vor dem Heim gegen die Flüchtlinge demonstrieren, die Bürgerbewegung "Hellersdorf hilft" wiederum gegen die Rechten. Die Asylbewerber werden aus ihren Zimmern zusehen. Und kaum verstehen, was dort um sie geschieht.

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