Eine Russin, ein Kolumbianer oder doch Merkel?

Oslo · Syrische Lebensretter, Flüchtlingshelfer, der Papst, Kolumbiens Präsident, selbst Donald Trump sind für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Die Jury hat bei einer Rekordzahl von Nominierungen die Qual der Wahl.

 Die russische Flüchtlingshelferin Swetlana Gannuschkina ist eine der großen Favoritinnen. Foto: dpa/Mauder

Die russische Flüchtlingshelferin Swetlana Gannuschkina ist eine der großen Favoritinnen. Foto: dpa/Mauder

Foto: dpa/Mauder

Wochenlang galt Kolumbien als der große Favorit auf den Friedensnobelpreis . "Für mich ist die Wahl in diesem Jahr so klar wie schon lange nicht mehr", sagte der Stockholmer Friedensforscher Dan Smith. "Kolumbien!" Viele Experten hatten das Land für die größte Auszeichnung der Welt ins Spiel gebracht, nachdem es Ende September Geschichte geschrieben hatte: Nach 220 000 Toten und Millionen Vertriebenen unterzeichneten Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und der Chef der linken Farc-Guerilla, "Timochenko" Londoño, einen Friedensvertrag, der den Beginn einer neuen Ära markieren sollte. Doch bei einem Referendum sagten die Kolumbianer "No" zu dem Abkommen. Platzte damit auch die Chance auf den Nobelpreis?

"Obwohl eine knappe Mehrheit das Abkommen abgelehnt hat, wird das Nobelkomitee die beiden Anführer wahrscheinlich ehren, um neue Verhandlungen zu unterstützen", meint der norwegische Historiker Asle Sveen. Regierung und Rebellen haben die Hoffnung nicht aufgegeben, den Friedensvertrag noch zu retten. Ein Nobelpreis könnte dem Vorhaben Rückenwind verleihen. Mit Preisen wie dem für die Friedensbemühungen im Nahen Osten 1994 sei die Jury "in der Vergangenheit schon größere Risiken eingegangen", sagt Sveen. Dazu kommt: Seit 1992 hat Lateinamerika den Preis nicht mehr bekommen. Solche "regionalen Überlegungen" seien für die Jury wichtig. Dem Komitee ist aber auch daran gelegen, keine voreiligen Auszeichnungen zu vergeben. Dafür war es 2009 nach dem Preis an den erst gewählten US-Präsidenten Barack Obama kritisiert worden.

Bei der Rekordzahl von 376 Nominierten könnten die Juroren deshalb auch von vornherein auf einen sichereren Kandidaten gesetzt haben. 228 Personen und 148 Organisationen sind diesmal vorgeschlagen. Selbst Donald Trump , der im Falle eines Wahlsiegs die Grenzen für Muslime schließen und die Militärausgaben erhöhen will, soll nominiert worden sein.

Beim Nobelpreis wollen in diesem Jahr sogar Hollywoodstars wie George Clooney und Ben Affleck mitreden. Sie setzen sich in einer Kampagne für einen Preis für die syrischen Weißhelme ein. Die Truppe aus Bürgern, die Verletzte nach Bombenangriffen aus den Trümmern zieht, ist für ihren Mut gerade erst mit dem Alternativen Nobelpreis belohnt worden. Doch auch die Weißhelme haben einen Makel: In den letzten vier Jahren haben drei Organisationen den Preis bekommen. "Ich glaube nicht, dass die Auszeichnung wieder an eine Organisation geht", sagt der Friedensforscher Kristian Harpviken. Vor allem, weil diese nicht soviel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie etwa Obama, Nelson Mandela oder Martin Luther King. Doch auch im letzten Jahr hatte die Nobeljury mit dem Preis an das tunesische Quartett für den nationalen Dialog überrascht. Der Zusammenschluss aus Gewerkschaftsverband, Arbeitgeberverband, Menschenrechtsliga und Anwaltskammer war für den gemeinsamen Einsatz für Demokratie ausgezeichnet worden. Viele hatten nach zehn Jahren wieder mit einem Preis für die Atomabrüstung gerechnet.

Nach dem Atomabkommen mit dem Iran sieht Harpviken diesmal in US-Energieminister Ernest Moniz und dem Chef der iranischen Atombehörde Ali Akbar Saleh Kandidaten für den Preis - auch wenn es an der Umsetzung des Deals hapert. Auch der Papst, Flüchtlingshelfer der griechischen Ägäis-Inseln, der Arzt Denis Mukwege, der im Kongo Vergewaltigungsopfer operiert, und der US-Whistleblower Edward Snowden sind weiter im Rennen. Ganz oben auf der Favoritenliste von Harpviken steht aber die Russin Swetlana Gannuschkina, die sich für Migranten in ihrer Heimat einsetzt.

Angela Merkel, die 2015 wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingskrise als aussichtsreiche Kandidatin gegolten hatte, steht in Wettbüros ebenfalls noch hoch im Kurs. Ihre Chancen sind aber gesunken, seit Deutschland seine Politik verschärft hat, glaubt der Historiker Sveen: "Es wäre ein bisschen wie der Preis an Obama, bei dem große Ankündigungen und Prinzipien geehrt wurden - während die Geschichte gezeigt hat, dass die Fähigkeit, diesen Prinzipien zu entsprechen, nicht wirklich vorhanden war."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort