Ein Alptraum für die Rettungskräfte"Die Sicherheitslage muss unter Kontrolle bleiben"EU sagt Haiti Hilfspaket zu: 420 Millionen und Sicherheitsbeamte

Port-au-Prince. Die internationale Gemeinschaft steht im kleinen Karibikstaat Haiti vor einer gigantischen Herausforderung

Port-au-Prince. Die internationale Gemeinschaft steht im kleinen Karibikstaat Haiti vor einer gigantischen Herausforderung. Während Rettungsteams nach dem verheerenden Erdbeben von Port-au-Prince weiter in den Ruinen nach Überlebenden suchen, treffen sich Dutzende von Hilfsorganisationen aus aller Welt zu Beratungen über die bevorstehende Versorgung Hunderttausender von obdach- und mittellosen Menschen.

Doch bereits der Auftakt der Logistik ist ein Problem. Fachleute sprechen von einem logistischen Alptraum. Die USA haben die Kontrolle über den Flughafen übernommen. "Wir arbeiten eng mit den Militärs zusammen", sagt ein haitianischer Fluglotse in den Räumen der provisorischen Flugleitzentrale auf dem Flughafen.

Zerstörter Tower

Bei den Beben war auch der Tower zerstört worden. "Die USA haben den Blick mehr auf das Militärische gerichtet, die UN mehr auf die humanitäre Seite", umschreibt Rüdiger Ehrler von der Deutschen Welthungerhilfe, warum die Hilfsaktion mit Verzögerung angelaufen sein könnte. Maschinen aus den USA würden möglicherweise eher Genehmigungen erteilt als denen aus anderen Ländern, argwöhnen Experten.

Nach Angaben von Silvestre Castro, Leiter des freiwilligen Logistik-Teams der DHL in Amerika, landen täglich rund 45 Maschinen auf dem Flughafen, knapp die Hälfte in der Nacht, praktisch alles Militärflugzeuge. "Ich habe nur acht Flugzeuge mit humanitärem Material täglich gezählt", berichtet Castro, ein Mann aus Panama.

"Lebensmittel, zum Beispiel Reis oder Milch, habe ich noch nicht ankommen gesehen." Neben den Problemen am Flughafen dürften einem rascheren Beginn der Hilfslieferungen noch andere Hindernisse im Wege stehen. Die Organisationen, die nach Haiti kommen, um zu helfen, verfügen nicht über Strukturen, um dort zu arbeiten. Dazu gehören Unterkünfte, Büros, Kommunikationsmittel oder Fahrzeuge und Ausrüstung. Es gibt wegen der Zerstörung auch keine Gebäude, in die sie einziehen könnten.

Unter der Führung der humanitären UN-Organisation Ocha wurde am Sonntag beschlossen, am Flughafen eine Zeltstadt für bis zu 800 Personen zu errichten. In den Zelten können die Mitarbeiter mehrerer Organisationen wohnen, schlafen und arbeiten. Bisher verbringen die bereits angereisten Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, aber auch die Journalisten die Nächte im Freien, in Zelten, auf Bänken, auf den Fußböden und in der Gärten der Hotels.

Jetzt wollen die Hilfsorganisationen mit der Verteilung von Lebensmitteln beginnen. Aber auch das ist vor allem wegen befürchteter Gewaltausbrüche eine logistische und psychologische Herausforderung. Die Deutsche Welthungerhilfe etwa überlegt, zunächst in einer von der Polizei abgesicherten Straße Wasser zu verteilen. In einem zweiten Schritt soll mit der Verteilung von Reis, Bohnen, Öl und Salz begonnen werden.

Die haitianische Regierung habe inzwischen den Vorschlag gemacht, außerhalb der zerstörten Hauptstadt Lager für Hunderttausende von Menschen errichten zu lassen. "Wenn die Regierung die Flächen identifiziert, können die Hilfsorganisationen mit den Vorbereitungen begonnen, hofft Ehrler nach einem Meeting mit der OCHA.

Auch der Sprecher der Diakonie Katastrophenhilfe, Tommy Ramm, sieht große Probleme bei der Verteilung der Hilfsgüter. "In den ersten Tagen war das Krisenmanagement völlig überfordert", sagte er.

Stehen Sie in Kontakt mit Haiti?

Niebel: An dem im Auswärtigen Amt eingerichteten Krisenstab Haiti nimmt mein Ministerium regelmäßig teil, so dass wir laufend über die aktuelle Lage in Haiti informiert sind.

Haben Sie Neuigkeiten von den vermissten Deutschen?

Niebel: Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass am letzten Samstag wahrscheinlich ein erstes deutsches Opfer gefunden wurde. Ich bin darüber informiert, dass das Auswärtige Amt fieberhaft bemüht ist, den Aufenthalt weiterer 16 Deutscher zu klären, die derzeit vermisst werden.

Es heißt, das Krisenmanagement vor Ort sei chaotisch. Ist das auch Ihr Eindruck?

Niebel: Man muss wissen: Der Flughafen und der Hafen sind stark beschädigt. Trotz dieser zerstörten Transport- und Kommunikationswege sind Hilfslieferungen angelaufen. Dabei konnte aber bisher nur ein Bruchteil der drei Millionen betroffenen Haitianer erreicht worden. Dies muss in den nächsten Tagen dringend ausgeweitet werden.

Die Haitianer verlieren aber offenbar langsam die Geduld. Wie kann die Hilfe schnell effektiver werden?

Niebel: Die Vereinten Nationen und ihre Partner arbeiten mit Hochdruck daran, Hilfslieferungen nach Haiti zu transportieren und an die betroffenen Menschen zu verteilen. Dies setzt voraus, dass die Sicherheitslage auch weiterhin unter Kontrolle bleibt. Ich erwarte durch die Zusage der USA, Soldaten zu Unterstützung der nach Haiti zu entsenden, eine weitere Verbesserung der Situation und rechne damit, dass die zugesagten und dringend benötigten Lebensmittel die Menschen auch zügig erreichen.

Gerade die Uno scheint aber erneut überfordert zu sein.

Niebel: Die UN-Mission in Haiti ist durch das Erdbeben schwer getroffen worden. Es wird derzeit alles Menschen mögliche getan, um der haitianischen Bevölkerung zu helfen, nicht nur von den UN, sondern auch von allen anderen im Land vertretenen Helfern.

Welchen Beitrag leistet Deutschland?

Niebel: Die Bundesregierung hat aktuell 7,5 Millionen Euro für die Menschen in Haiti bereitgestellt. Ich hatte kurz nach dem Beben zunächst 500 000 Euro für Nahrungsmittelsoforthilfe zugesagt. Die Mittel wurden gleich bereitgestellt und werden nun im Rahmen eines laufenden Nothilfe-Vorhabens zum Ankauf von Lebensmitteln in der Dominikanischen Republik und Transport in das Katastrophengebiet verwendet. Damit können rund 30 000 Personen einen Monat lang versorgt werden. Außerdem haben wir dem Welternährungsprogramm zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Auswärtige Amt hat zudem insgesamt weitere fünf Millionen Euro für humanitäre Soforthilfe, unter anderem für den Betrieb einer mobilen Klinik und für Wasseraufbereitung durch das Technische Hilfswerk bereitgestellt.Brüssel. "Ich hoffe, dass den Rettungsteams noch viele Wunder gelingen." Herman Van Rompoy, Europas neuer ständiger Ratspräsident, fasste gestern in Worte, was die 27 Entwicklungsminister der EU zu einem Hilfspaket für Haiti zusammenschnürten: die Solidarität mit den Erdbebenopfern auf Haiti. 420 Millionen Euro aus bilateralen und Gemeinschaftstöpfen werden für Hilfsmaßnahmen bereitgestellt. Außerdem sollen rund 150 Gendarmerie-Beamte auf die Karibik-Insel verlegt werden. Damit erfüllt Brüssel eine Bitte der UN, denn gebe es "ein massives Sicherheitsproblem", hieß es in einem Bericht an die Ministerrunde.

Deutsche Polizisten sollen übrigens nicht auf Haiti zum Einsatz kommen. Andere seien "dafür besser qualifiziert", begründete die Berliner Delegation ihre Absage. Hintergrund sind offenbar fehlende Sprachkenntnisse. Es sei besser, wenn Polizisten auf der frankophonen Insel "mit den Menschen auch reden" könnten.

Schon unmittelbar nach dem Beben hatte die Kommission zunächst 30 Millionen Euro bereitgestellt. Inzwischen liegen von den Mitgliedstaaten Zusagen über weitere 92 Millionen Euro vor. Nun soll die Hilfe aus der Gemeinschaftskasse um 200 Millionen für Sofortmaßnahmen und 100 Millionen für den Wiederaufbau auf rund 420 Millionen aufgestockt werden.

Große Sorgen bereitet nach wie vor die mangelnde Infrastruktur vor Ort. Erste Helfer wurden wieder abgezogen, weil es nicht möglich war, ihren Einsatz koordiniert zu starten. dr

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