Die Zwiegespaltenen

Berlin · Wer nicht fit ist in Sachen Internet und neue Medien, dem entstehen im Leben Nachteile, sagt Professor Christian Stegbauer von der Goethe-Universität Frankfurt. Mit dem Medien-Soziologen sprach SZ-Redakteurin Stefanie Marsch.

Sie kennen noch Tante-Emma-Läden, kaufen aber längst im Internet . Sie wollen, dass Kinder Bücher lesen - doch informieren sich selbst übers Smartphone. Sie wissen, dass sie fürs Alter vorsorgen sollten. Doch sie tun es zögerlich, weil sie einen funktionierenden Sozialstaat gewohnt sind. Zwiegespalten, das trifft das Lebensgefühl von rund 35 Millionen Menschen in Deutschland einer Umfrage zufolge gerade ziemlich gut.

Zugleich erlebe die "Generation Mitte" privat und beruflich eine unaufhörlich steigende Schlagzahl, sagt Renate Köcher, die Chefin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach. Die 30- bis 59-Jährigen fühlen sich, das hat Köcher unter 1245 repräsentativ ausgewählten Männern und Frauen erfragt, gleichzeitig als Treiber und Getriebene einer immer schnelleren Welt. Doch vor allem schwächere soziale Schichten drohen, abgehängt zu werden. "Wir dürfen nicht einen Teil der Gesellschaft abhängen und aus den Augen verlieren", warnt der Präsident der Versicherungswirtschaft, Alexander Erdland. Er hat die Umfrage in Auftrag gegeben. Gerade in der "Generation Mitte" dürfe die Frage "Online oder Offline" nur mit "Online und Offline" beantwortet werden, meint Erdland. Denn sie ist besonders wichtig. Die 35 Millionen Menschen im Alter von 30 bis 59 Jahren tragen den größten Anteil der Steuereinnahmen in Deutschland, sie finanzieren die sozialen Sicherungssysteme, erziehen Kinder und pflegen die Älteren. "Sie sind die Leistungsträger und stellen in unserer Gesellschaft die Weichen für die Zukunft", erläutert Erdland.

Die Ergebnisse zeigen: Die "Generation Mitte" macht sich viele Sorgen - ist aber alles in allem ganz zufrieden mit dem Leben. Veränderungsdruck spürt sie vor allem durch Digitalisierung und die alternde Gesellschaft.

Nur noch jeder Fünfte kann sich ein Leben ohne Internet noch ohne weiteres vorstellen. 90 Prozent sind online, in der Regel täglich. Zugleich aber gebe es ein ausgeprägtes Unbehagen. "Was mich irritiert: Diese Ängste haben keinerlei verhaltensprägende Wirkung", sagt Köcher. Im Klartext: Die Leute fürchten Datenmissbrauch - geben die Informationen aber trotzdem etwa bei Facebook und Twitter preis. Jeder zweite Deutsche (49 Prozent) ist heute mindetens in einem sozialen Netzwerk angemeldet.

Große Veränderungen sieht die "Generation Mitte" in ihrem sozialen Leben. Alles werde komplizierter, kritisiert mehr als jeder Vierte, steigende Anonymität fast jeder Zweite. Neue Leute lernen 17 Prozent der Befragten inzwischen anders kennen als noch vor Jahren. Für jeden Dritten hat sich verändert, wie oft er mit Freunden in Kontakt ist - ob zum positiven oder negativen ist nicht bekannt.

Mehr als jeder Dritte spürt auch bei der Arbeit große Unterschiede. Dass er ständig erreichbar ist, empfindet jeder zweite als Nachteil. Fast ebenso viele glauben, dass ganze Berufsgruppen bald von Maschinen ersetzt werden - aber nur drei Prozent finden das gut.

Dass die Geschäfte in den Innenstädten nach und nach verschwinden, sehen fast 70 Prozent in der "Generation Mitte" mit Sorge. Zugleich aber setzen sich zum Einkaufen immer mehr Leute an den Computer . Mehr als jeder zweite bucht Reisen oder kauft Kleidung im Netz. Auch für Bücher, Filme oder Musik verlassen viele kaum das Haus. Nur beim Geld sind sie weiter traditionell: Versicherungen oder Geldanlagen haben bislang die wenigsten online abgeschlossen.

Als eine der größten Herausforderungen empfinden die 30- bis 59-Jährigen den demografischen Wandel. Dass es immer mehr ältere Leute gibt, macht fast 90 Prozent Sorge. Jeder zweite sieht die sozialen Sicherungssysteme in Gefahr, jeder Dritte befürchtet Spannungen zwischen Alt und Jung. Doch dass das auch sie selbst betrifft, glauben nur wenige in dieser zwiegespaltenen Generation.Herr Professor Stegbauer, unsere digitale Gesellschaft wandelt sich täglich. Nichts bleibt lange so, wie es ist. Wer da nicht mithalten kann, ist schnell außen vor. Kommt es dadurch zu einer sozialen Spaltung?

Stegbauer: Anfangs dachte man, es komme nur darauf an, dass jeder Zugang zu Internet und neuen Medien hat. Aber inzwischen ist klar geworden, dass auch entscheidend ist, wie die Menschen damit umgehen. Und dabei entstehen Ungleichheiten. Zum einen sind es oft ältere Menschen, die wenig mit Computer und Internet vertraut sind - ihnen fällt es schwerer, sich das nötige Wissen anzueignen. Zum anderen sind es Menschen aus schwächeren sozialen Schichten. Die Angebote im Internet sind nicht immer leicht zu erschließen. Dazu braucht es eine gewisse Bildung. Vieles ist und bleibt auf Englisch. Wer also keine Fremdsprachen spricht, bleibt außen vor. Außerdem kommt es auch auf die Lesefähigkeit an. Viele Texte sind lang und nicht einfach zu verstehen. Dadurch sind zum Beispiel auch Migranten besonders von der sozialen Spaltung durch den digitalen Wandel betroffen.

Was ist das Schlimme an dieser Spaltung? Nicht bei Facebook oder Twitter zu sein, ist ja noch kein Beinbruch.

Stegbauer: Das nicht, aber es entstehen durchaus Nachteile. Immer mehr Dinge verlagern sich in die digitale Welt. Bank-Filialen schließen. Viele Geschäfte gibt es nicht mehr. Bestimmte Anträge kann man nur noch im Internet stellen. Im Nahverkehr von A nach B zu kommen, ein Fahrrad oder ein Auto zu mieten, wird ohne Internet immer schwieriger. Die Verknüpfung zwischen der realen Welt und dem Netz nimmt zu. Wer da nicht fit ist, weiß vieles einfach nicht und bleibt dadurch ausgeschlossen. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite. Das Angebot an Informationen und Produkten ist so groß, dass es immer schwieriger wird, Entscheidungen zu treffen.

Viele der 30- bis 59-Jährigen sehen sich sowohl als Treiber als auch Getriebene der schnellen Entwicklung der digitalen Welt. Ist diese Zerrissenheit ein Kennzeichen dieser Generation?

Stegbauer: Ja, das glaube ich schon. Viele in dieser Generation kennen die "alte" Welt ohne Computer und Internet . Sie müssen sich das Neue aktiv erarbeiten. Jugendliche gehen dagegen spielerischer damit um. Sie haben auch mehr Zeit, sich mit den digitalen Angeboten zu beschäftigen. Die sogenannte Sandwich-Generation ist gerade mehr damit befasst, Geld zu verdienen, sich um Kinder oder um pflegebedürftige Eltern zu kümmern. Sie zahlt auch die meisten Steuern. Sie ist also ohnehin stark gefordert. Sich immer wieder mit neuen Medien und neuer Technik auseinanderzusetzen, kann dann zum Stress werden und Sorgen auslösen. Zumal wenn die berufliche Entwicklung das verlangt.

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