Die gestohlene Revolution

Die Revolution", sagt Ahmed S. bedrückt, "war schon zu Ende, kurz nachdem sie begonnen hatte." Die Wurzel allen Übels sieht der 26-Jährige allerdings nicht nur im Assad-Regime, das seit mehr als einem Jahr beinahe tagtäglich durch gnadenlos brutales Vorgehen gegen die Opposition in den Schlagzeilen steht. "Nein, so war es am Anfang nicht", meint Ahmed

Die Revolution", sagt Ahmed S. bedrückt, "war schon zu Ende, kurz nachdem sie begonnen hatte." Die Wurzel allen Übels sieht der 26-Jährige allerdings nicht nur im Assad-Regime, das seit mehr als einem Jahr beinahe tagtäglich durch gnadenlos brutales Vorgehen gegen die Opposition in den Schlagzeilen steht. "Nein, so war es am Anfang nicht", meint Ahmed. "Zu Beginn war es der friedliche Aufstand derer, die sich nach Freiheit und Reformen sehnten." Dieser Aufstand sei dann aber von so genannten Revolutionären vereinnahmt und in eine blutige Schlacht verwandelt worden. Seinen richtigen Namen will der Medizinstudent nicht veröffentlicht sehen, zu groß ist seine Furcht vor Repressalien andersdenkender syrischer Landsleute. Selbst hier im Saarland fühlt sich Ahmed nicht sicher. "Ein mit mir befreundeter, sehr engagierter Student hat hier in Deutschland laut seine Meinung geäußert und bekommt seither regelmäßig Morddrohungen von Assad-Gegnern per Post und über Facebook", erzählt der junge Mann, der seit mehr als sechs Jahren in Deutschland lebt. Ein anderer sei sogar zusammengeschlagen worden.Ist Ahmed S. also ein Anhänger des Assad-Regimes? Gewiss, als Alawit gehört er derselben Minderheit an wie der Herrscher in Damaskus. Ahmed wiegt indes nachdenklich den Kopf: "Nein, ich würde mich als neutral bezeichnen." Als einen, der von außen zuschaut, der versucht, objektiv zu sein. Und eben doch auch dazugehört, auf der Seite derer, die die anfänglichen, gewaltfreien Proteste entfachten. Ahmed ist ein besonnener, ein abwägender junger Mann. Demokratie könne keinesfalls gewaltsam herbeigeführt werden, sagt er. Obwohl sein Land doch "weitaus fortschrittlicher und freier" sei als alle arabischen Länder rundherum, "kennen sich die Syrer noch nicht aus mit dem Wesen der Demokratie und der Parteien". Und wenn Assad von der Bildfläche verschwunden sei, bedeute dies längst nicht, dass in Syrien Demokratie ausbreche.

Warum aber ist die "richtige Revolution" schiefgelaufen, wie er behauptet, und wer sind jene Oppositionellen? Ahmeds Bild ist vor allem geprägt durch Berichte guter Freunde und Familienmitglieder in Syrien. Die Stimmung habe sich durch Aggressoren geändert, die dafür sorgten, dass alles aus dem Ruder lief. Durch Provokateure, die in Ahmeds Heimatstadt an der syrischen Küste in alawitisch geprägten Vierteln proklamierten: "Die Sunniten bringen euch um", um gleich darauf in überwiegend sunnitisch bewohnten Stadtteilen zu verkünden: "Die Alawiten bringen euch um." Ahmed ist überzeugt, dass diese "oppositionellen" Gruppen einen religiös fundamentalistischen Hintergrund haben.

Das sieht der 27-jährige Farid K. (Name geändert) ebenso. Der Zahnmedizin-Student lebt seit knapp neun Jahren in Deutschland. Seiner Überzeugung nach handelt es sich bei den Revolutionären vor allem um bewaffnete Militionäre aus dem Ausland, um radikal-islamische Salafisten und auch Mitglieder von Al Qaida, die das laizistisch geprägte Syrien in einen islamischen Gottesstaat verwandeln wollen. "Ich befürchte, dass Syrien nach Assad eine Islamisierung erfährt, ähnlich wie Ägypten", sagt Farid, der anfänglich "so viele Hoffnungen in die Revolution gesetzt" hat. "Diese Leute haben uns geschadet, ja sie haben unsere Revolution quasi gestohlen", sagt er, während ihm Zornesröte ins Gesicht steigt. In seinem eigenen christlich-sunnitischen Elternhaus in Damaskus hatte Religiosität nie eine große Rolle gespielt. Für jene Revolutionäre, entrüstet er sich, "bin auch ich ein Ungläubiger, den man bedenkenlos abschlachten kann". Trotz seiner entschiedenen Distanz zu jener Opposition bezeichnet sich Farid als überzeugter Regime-Gegner. Auch er wolle ein möglichst demokratisches Syrien - ohne Assad, wie er versichert. "Er ist ein Diktator, der die Macht von seinem Vater geerbt hat. Und ich wünsche mir, dass Assad eines Tages in Syrien vor Gericht steht. Aber dort möchte ich keine Richter mit langem Bart sehen." Lange Bärte sind Sinnbild für radikale Islamgläubige.

Der Kunst- und Architektur-Liebhaber ist davon überzeugt, dass es die Syrer ohne militärisches Eingreifen von Außen schaffen - und er glaubt letztlich an die Selbstheilungskräfte seines Volkes. "Frieden", so sagt er, "ist eine starke Waffe, damit kann am viel erreichen."

Den Frieden wiederherstellen, das Land stabilisieren und reformieren - das müsse Bashar al-Assad selbst in die Hand nehmen, meint Yousef J. (Name geändert). Der 29-Jährige gehört der christlichen Minderheit in Syrien an und lebt seit etwa sieben Jahren im Saarland. Wie kann er an Ruhe und Frieden glauben - während die eisene Hand des Diktators gnadenlos wütet? Der freundliche Informatiker aus Aleppo fürchtet wie viele Christen in Syrien die Zeit nach Assad, fürchtet - ähnlich wie Ahmed S. und Farid K. - einen Machtwechsel, der Islamisten an die Spitze des Staates spült. Und fürchtet als Konsequenz Unterdrückung und Verfolgung religiöser Minderheiten unter der Scharia-Knute. Mit Grausen blickt der 29-jährige Katholik auf jene Länder, in denen der hoffnungsvolle Aufbruch, der "arabischen Frühling", in ein Desaster für die junge, überwiegend säkular orientierte Protestbewegung mündete - in eine Herrschaft der streng islamischen Moslembrüder.

Yousef erzählt von Morden an Christen durch Oppositionelle in seiner Heimatstadt, "und ja, es gab sogar einen Mordversuch an meiner eigenen Kusine, dem sie nur knapp entkommen konnte". Er berichtet von unzähligen Waffen, die ins Land geschleust wurden. "Viele Radikale kommen aus Libyen, Marokko, Saudi-Arabien oder der Türkei", sagt er. Warum sonst finde die Revolution - anders als in Ägypten oder Tunesien - ausgerechnet in grenznahen syrischen Orten statt und nicht in den Metropolen?

Für Yousef hatte der syrische Herrscher immerhin bereits wichtige Reformen eingeleitet: eine freiere Presse erlaubt, Frauen mit gleichen Rechten wie Männer ausgestattet, Notstandsgesetze aufgelöst, eine neue Verfassung eingeführt. Alles in Auflösung? Yousef hat sich dennoch einen optimistischen Blick in die Zukunft vorordnet: "Das Ende der Gewalt kommt bald, und das Land wird eine Zukunft haben." "Das Ende der Gewalt kommt bald, und das Land wird eine Zukunft haben."

Yousef J. aus Aleppo,

seit sieben Jahren im Saarland

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