Der "Wutbürger" beschäftigt die Parteien

Berlin. Wie sehr die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 nachwirken, zeigt sich auch bei den Jahresauftaktklausuren der Parteien. Großprojekte und Bürgerbeteiligung sind fast überall das Hauptthema. Union und FDP schießen sich dabei angesichts der bevorstehenden sieben Landtagswahlen auf die Grünen ein, die sich derzeit im Umfragehoch befinden

Berlin. Wie sehr die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 nachwirken, zeigt sich auch bei den Jahresauftaktklausuren der Parteien. Großprojekte und Bürgerbeteiligung sind fast überall das Hauptthema. Union und FDP schießen sich dabei angesichts der bevorstehenden sieben Landtagswahlen auf die Grünen ein, die sich derzeit im Umfragehoch befinden.

Die Opposition handele nach dem Motto: "Ob Sonne, ob Regen, wir sind immer dagegen" - so karikierte FDP-Chef Guido Westerwelle am Donnerstag beim Dreikönigstreffen die grüne Konkurrenz. Greife die Zukunftsverweigerung weiter um sich, werde Deutschland den Anschluss verlieren. Neben Projekten wie Stuttgart 21 geht es nach Meinung von FDP und CDU auch um Stromtrassen, Windkraftanlagen oder Pumpspeicherkraftwerke. Nicht zu reden vom geplanten Atomendlager in Gorleben.

Die Grünen halten dagegen. Sie wollen beim Parteitreffen heute und morgen in Wörlitz sowie bei der anschließenden Fraktionsklausur in Weimar dokumentieren, dass es ihnen nicht um ein einfaches Nein geht. So reist als Gast der frühere Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger an, der in seinem Land die Suche nach einem atomaren Endlager organisiert und den Gotthard-Tunnel mit durchgesetzt hat. Leuenberger soll als Beispiel dafür stehen, dass Bürgerbeteiligung und Großprojekte keine Gegensätze sein müssen.

Die Parteispitze der CDU kommt am Wochenende in Mainz zusammen und will dort eine "Mainzer Erklärung" verabschieden. Der Schwerpunkt auch hier: Standortpolitik. Deutschland brauche massive Investitionen, unter anderem in erneuerbare Energien und die dazu gehörenden Netze, soll die Botschaft sein. Wer sie verhindere, betreibe Blockadepolitik gegen das eigene Land. Die Planungsverfahren müssten beschleunigt werden. "Die Grünen sind gegen alles", sagte Generalsekretär Hermann Gröhe (Foto: dpa) gestern und rief die Bürger auf, ihm Fälle von lokaler Blockadepolitik zu melden. "Wir gehen der Sache nach."

Wahrend die Linken sich auf eine kurze Kundgebung heute in Berlin beschränken, bei der Hartz IV und die Debatte um die Kommunismus-Bemerkungen ihrer Chefin Gesine Lötzsch im Mittelpunkt stehen dürften, wollen die Sozialdemokraten bei ihrer Vorstandsklausur in Potsdam sowie dann ab Mitte der Woche beim Fraktionstreffen in Madgeburg ebenfalls ausführlich über den Politikverdruss reden. Es müsse verhindert werden, dass die Distanz wischen Bevölkerung und Politik weiter wachse und in offene Verachtung umschlage, erklärte Parteichef Sigmar Gabriel. Der "Wutbürger" lässt grüßen.

Der Vorsitzende der saarländischen SPD, Heiko Maas, legt bei der Tagung als Leiter einer "Zukunftswerkstatt Demokratie und Freiheit" ein Papier vor, das neben der Forderung nach Bürgerentscheiden auch die Einführung einer so genannten "Volksgesetzgebung" empfiehlt (siehe Infokasten).

Hintergrund

SPD-Landeschef Heiko Maas will die Bürger über eine "Volksgesetzgebung" deutlich stärker an politischen Entscheidungen beteiligen. Mit einer Grundgesetz-Änderung sollen Volksinitiativen, -begehren und -entscheide ermöglicht werden. Die Volksgesetzgebung soll dabei "eine weitere Säule der Gesetzgebung neben Bundestag und Bundesrat" sein, in der die "Gesetzesinhalte durch Bürgerinnen und Bürger jederzeit ausgewählt und unmittelbar verbindlich entschieden werden können".

Auch Ministerpräsident Peter Müller (CDU) plädiert für Volksentscheide auf Bundesebene. "Wir haben Plebiszite in Ländern und Kommunen. Das Grundgesetz ist bisher sehr zurückhaltend. Eine Öffnung kann ich mir vorstellen", sagte Müller. Nötig sei dann aber "ein Verfahren, das Emotionen dämpft".red/dpa

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