Das Straucheln der Moral

D eutschlands wohl bekannteste Frauenrechtlerin Alice Schwarzer greift Missstände und ihre Gegner scharfzüngig an – kompromisslos und gerne öffentlichkeitswirksam. Seit Jahrzehnten kämpft sie für Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Gewaltfreiheit und bezeichnet sich selbst als Humanistin.

 Dreißig Jahre hat sie Steuern hinterzogen, für zehn Jahre nachgezahlt. Damit sieht Alice Schwarzer ihren Fehler bereinigt. Foto: Stefan Boness

Dreißig Jahre hat sie Steuern hinterzogen, für zehn Jahre nachgezahlt. Damit sieht Alice Schwarzer ihren Fehler bereinigt. Foto: Stefan Boness

Foto: Stefan Boness

Vielen ist sie Vorbild, moralische Instanz. Nun räumt die 71-Jährige nach einem "Spiegel"-Bericht ein, jahrzehntelang ein nicht-deklariertes Schweizer Konto geführt zu haben. Dass jetzt über ihre Steuerhinterziehung berichtet wird, empfindet die gefragte Publizistin als rufschädigend.

Die Angelegenheit hat für Schwarzer - sie hat 200 000 Euro Steuern für zehn Jahre nachgezahlt - keinerlei rechtliche Konsequenzen, stellt Professor Joachim Englisch klar, Steuerexperte der Uni Münster. Wirtschaftsethiker Professor Matthias Fifka ergänzt aber: "Auch mit der Steuernachzahlung wird der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht aufgehoben." Pikant: Schwarzer hat Steuern hinterzogen in einer Zeit, in der sie auch öffentliche Fördermittel für ihr feministisches Archiv FrauenMediaTurm bezog.

In der Welle der Empörung, die nun über Schwarzer hereinbricht, wird auch bemängelt: Die Chefin des feministischen Magazins "Emma" habe sich gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler einen Vorteil verschafft. "Bombengeschäft für Schwarzer", schrieb die "taz". Ein Kommentar auf Twitter: "45 Jahre Zeigefinger, 30 Jahre Steuern hinterziehen, 20 Jahre steuerfrei, zehn bezahlen. Ich weiß auch nicht, wieso man Schwarzer kritisiert."

Fifka mahnt: Im Fall Schwarzer sei eindeutig das Steuergeheimnis verletzt worden, das ausdrücklich auch bei Steuerhinterziehung gelte. Es rangiere deutlich höher als das potenzielle öffentliche Interesse an der Berichterstattung über Prominente.

Die Veröffentlichungen kommen zu einer ungünstigen Zeit, gerade lief es gut für Schwarzer. Mit ihrer Kampagne gegen Prostitution hat sich die Autorin viel Gehör verschafft. Ihren Appell unterschrieben innerhalb weniger Monate etwa 10 000 Menschen, auch viele Prominente. Einer Allensbach-Umfrage im Auftrag der "Emma" zufolge ist Schwarzer für jede vierte Frau und jeden achten Mann ein Vorbild - so war es jedenfalls im vergangenen Sommer.

Nun mehren sich die Stimmen, die Schwarzer auffordern, ihr Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. In einer Online-Petition unterzeichneten Hunderte am Tag nach der Enthüllung und der Erklärung der Journalistin einen Text, nach dem Schwarzer der Bundesrepublik mit ihrem Steuerfall geschadet habe. Trotz ihrer Verdienste um die Gleichberechtigung der Frau solle sie das Verdienstkreuz zurückgeben. Die 71-Jährige ist auch Trägerin des NRW-Staatspreises. Die Staatskanzlei in Düsseldorf wollte sich zu dem Fall nicht äußern.

Schwarzer selbst sieht sich als Opfer. "In dem Präzedenzfall Schwarzer wird in Sachen Persönlichkeitsschutz eh schon die Latte noch niedriger gehängt. Illegal? Persönlichkeitsverletzung? Na und!", schrieb sie im "Emma"-Blog. Sie habe ihr Schweizer Konto aufgelöst. "Inzwischen ist alles legal." Der Fehler sei bereinigt. Schwarzers Anwalt, der Medienrechtler Christian Schertz, kündigte juristische Konsequenzen an. Geprüft würden etwa strafrechtliche Schritte, weil mit der Veröffentlichung das Steuergeheimnis verletzt worden sei. Schertz sieht eine "unerträgliche Verletzung des Steuergeheimnisses und der Persönlichkeitsrechte von Alice Schwarzer".

"Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte" ließ Schwarzer dann am späten Nachmittag mitteilen, dass sie mit einer Million Euro eine Stiftung für die Chancengleichheit und Menschenrechte von Frauen und Mädchen gründen werde. Künftig würden auch die Gewinne ihrer Zeitschrift "Emma" zur Finanzierung der Stiftung beitragen, die noch in diesem Jahr ihre Tätigkeit aufnehmen solle.

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