Das glänzende Geschäft mit der NachhilfeSaarländer bei privater Nachhilfe ganz vorne

Bielefeld. Was soll nur aus meinem Kind werden, fragen sich viele Eltern, wenn wie heute im Saarland die Halbjahres-Zeugnisse ins Haus stehen. "Versetzungsgefährdet" bedeutet Alarm. Doch längst sind es nicht nur schlechte Noten, die Eltern dazu bewegen, das Portemonnaie für die private Nachhilfe weit zu öffnen

Bielefeld. Was soll nur aus meinem Kind werden, fragen sich viele Eltern, wenn wie heute im Saarland die Halbjahres-Zeugnisse ins Haus stehen. "Versetzungsgefährdet" bedeutet Alarm. Doch längst sind es nicht nur schlechte Noten, die Eltern dazu bewegen, das Portemonnaie für die private Nachhilfe weit zu öffnen. Grundschülern soll mit guten Zeugnissen der Weg auf die gewünschte weiterführende Schule geebnet werden. Und auch die Aussicht auf eine Lehrstelle oder das Traumstudium verbessern sich mit den entsprechenden Noten. Das alles sorgt für steigende Anmeldezahlen bei den kommerziellen Nachhilfe-Instituten.

Rund 1,1 Millionen Schüler in Deutschland bekommen mittlerweiler regelmäßig bezahlte Nachhilfe, heißt es in einer Studie der Bildungsforscher Klaus und Annemarie Klemm für die Gütersloher Bertelsmann Stiftung. Das ist etwa jeder achte der neun Millionen Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Eltern geben dafür jährlich zwischen 942 Millionen und knapp 1,5 Milliarden Euro aus.

Der Bundesverband der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen schätzt die Zahl der kommerzielle Anbieter auf 4000. Mehr als 2400 davon sind in dem Verband organisiert. "Die individuelle Förderung steht bei uns im Vordergrund", sagt Verbandssprecherin Andrea Heiliger. "Und das sind nicht nur die wohlhabenden Eltern." Viele würden für die "Karriere" ihrer Kinder bei Spielzeug oder Urlaub sparen. "Vielleicht haben die Eltern auch etwas das Vertrauen in die Schulen verloren." Das sei auch an steigenden Anmeldungen bei Privatschulen abzulesen.

Die Lehrergewerkschaft GEW spricht von einer dramatischen Entwicklung. Die Chancenungleichheit im Bildungssystem werde nochmals verstärkt, wenn individuelle Förderung vom Geldbeutel der Eltern abhänge, mahnt die stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer. Kinder aus benachteiligten Familien hätten es ohnehin schwerer in der Schule. "Die individuelle Förderung ist eigentlich die Aufgabe der Schulen", betont Demmer. Aber die Kultusminister machten es sich einfach, wenn sie diese Aufgabe den Schulen zuweisen, sie aber gleichzeitig nicht mit den notwendigen personellen und materiellen Ressourcen ausstatten. Hier entstehe ein Parallelsystem zum öffentlichen Schulwesen. "Darum müsste die Schulaufsicht auch die Aufsicht über Nachhilfe-Einrichtungen übernehmen", fordert die GEW.

Unklar ist, wie erfolgreich Nachhilfe ist. Es gebe keine belastbaren Untersuchungen, "ob sich das Lernen der Kinder durch diese Nachhilfe nachhaltig verbessert", sagt Demmer. Auch die Autoren der aktuellen Studie betonen, dass für eine Einschätzung die entsprechenden Untersuchungen fehlen.

Die Bertelsmann-Stiftung sieht in dem Trend ein ernstzunehmendes Signal. Die Eltern seien offenbar mit dem Schulsystem unzufrieden, sagt Bildungsexperte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Stiftung. Ziel eines chancengerechten und qualitativ guten Schulsystems müsse es sein, Nachhilfe weitestgehend überflüssig zu machen. "Dass das möglich ist, zeigen Beispiele wie Finnland, Kanada oder die Niederlande. Dort kommen Schüler weitgehend ohne Nachhilfe aus."Saarbrücken. Im Saarland geben Eltern weit mehr Geld für Nachhilfe aus als in den meisten anderen Bundesländern. Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung betragen die Ausgaben pro Schüler 129 Euro, 21 Euro mehr als im Bundesdurchschnitt. Damit liegt das Saarland an dritter Stelle hinter Baden-Württemberg und Hamburg (je 131 Euro). Das Schlusslicht bilden Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit 74 Euro.

Genutzt wird die Nachhilfe demnach insbesondere zum Ende der Grundschulzeit, wenn es um die Empfehlung für die weiterführende Schule geht. Laut Studie erhielten durchschnittlich 14,8 Prozent der Viertklässler Nachhilfe im Fach Deutsch. Aber auch hier gibt es zwischen den Ländern Unterschiede: Und auch hier liegt das Saarland im oberen Bereich (siehe Grafik).

Dieses Ergebnis deutet nach Ansicht von Herbert Möser, Vorsitzender des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrer-Verbandes (SLLV), darauf hin, dass viele Eltern mit Blick auf die bislang verbindliche Schullaufbahn-Empfehlung den Weg ihrer Kinder aufs Gymnasium ebnen wollten. Dass der saarländische Bildungsminister Klaus Kessler die Verbindlichkeit der Empfehlung inzwischen abgeschafft hat, begrüßt Möser. "Ich dringe aber weiter darauf, dass die Beratung der Lehrer von den Eltern beachtet wird", so der Verbandschef.

Nachhilfe dürfe nicht zur "Schattenschule" werden, sagte gestern Bildungsminister Kessler. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, habe er "den Fördergedanken aufgenommen" und zum Beispiel die frühe Sprachförderung an Schulen ausgeweitet. Kessler will in diesem Zusammenhang auch, wie er sagt, das Sitzenbleiben bei Fünft- und Sechstklässlern durch Förderkonzepte ersetzen und - auf Wunsch der Eltern - mehr "echte" Ganztagsschulen einrichten. Diese Vorhaben seien aber mittel- bis langfristig zu sehen. Kessler: "Ich kann die Dinge nicht von heute auf morgen ändern." sa

Meinung

Misstrauen gegenüber Schule

Von SZ-Redakteurin

Sabine Schorr

Es sind nicht die in der neuen Studie genannten Ausgaben und Prozentzahlen rund um den boomenden Nachhilfe-Markt, die beunruhigen müssen. Es ist die Erkenntnis, dass Nachhilfe für einen Teil der deutschen Kinder schon zum Schulalltag gehört. Morgens Schule, mittags Nachhilfe als Dauereinrichtung. Eine Ursache mag im Ehrgeiz mancher Eltern liegen, die ihren Nachwuchs - notfalls mit finanziellem Einsatz - zum Abitur treiben wollen.

Die große Nachfrage nach privater Hilfe zeigt aber auch ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber unseren Schulen. Gegenüber zu vielen leistungsorientierten Pädagogen, die weniger ihre Schüler als ihren Lehrplan im Blick haben. Studien wie diese sollten unsere Bildungs-Politiker und -Praktiker sehr nachdenklich machen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort