"Zivile Hilfe darf keine Aufstandsbekämpfung sein"

Berlin. Manche loben die deutschen Soldaten in Afghanistan als Entwicklungshelfer mit Waffe in der Hand. Den am Hindukusch aktiven Nichtregierungsorganisationen ist dieses Bild ein Graus. Viele sehen die Strategie der internationalen Staatengemeinschaft, Militäreinsatz und zivilen Wiederaufbau stärker zu verknüpfen, mit großer Sorge

Berlin. Manche loben die deutschen Soldaten in Afghanistan als Entwicklungshelfer mit Waffe in der Hand. Den am Hindukusch aktiven Nichtregierungsorganisationen ist dieses Bild ein Graus. Viele sehen die Strategie der internationalen Staatengemeinschaft, Militäreinsatz und zivilen Wiederaufbau stärker zu verknüpfen, mit großer Sorge. "Zivile Hilfe darf nicht als Instrument der Aufstandsbekämpfung missbraucht werden", sagt der Vize-Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, Jürgen Lieser. Damit werde die Neutralität der Entwicklungshelfer in Frage gestellt, was eine konkrete Gefährdung nach sich ziehe. "Sie werden zum Teil als Handlanger der Streitkräfte angesehen", gibt er zu bedenken. Die Ankündigung von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), finanzielle Zusagen für Hilfsverbände an ihre Bereitschaft zur Kooperation mit der Bundeswehr zu knüpfen, sieht er als "glatte Erpressung". Für Nichtregierungsorganisationen wird der Einsatz in Afghanistan zunehmend brenzlig. Das Afghanistan NGO Safety Office registrierte im Jahr 2009 insgesamt 172 Übergriffe auf Helfer, von denen 16 tödlich endeten. Die Welthungerhilfe stellt dabei fest, dass sich das Risiko für Mitarbeiter dieser Organisationen von kriminellen Überfällen zu politisch motivierten Anschlägen verlagert hat. Besonders gefährdet sind demnach afghanische Helfer, auch weil viele Organisationen ihr internationales Personal reduziert haben.Der Freiburger Mediziner Kurt-Wilhelm Stahl stellte bei seiner Arbeit in Afghanistan fest: "Für zivile Entwicklungshelfer ist die Nähe zum Militär eher eine Gefahrenquelle." Stahl beteiligt sich seit 2002 am Aufbau diverser Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan. Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr — etwa Hilfe beim Transport wichtiger Gegenstände von Deutschland an den Hindukusch — lobt der Mediziner jedoch. Für den Schutz der Aufbauprojekte seien die deutschen Soldaten unverzichtbar, sagt er. Allerdings habe sich die Sicherheitslage kontinuierlich verschärft. Die von Afghanistans Präsident Hamid Karsai ins Gespräch gebrachte Strategie zur Reintegration von Taliban-Kämpfern hält Stahl für "kompletten Unsinn". Die internationale Gemeinschaft will Aufständische unter anderem mit Jobangeboten dazu bewegen, die Waffen niederzulegen. Der Mediziner gibt zu bedenken: "In Afghanistan können Sie jeden kaufen. Aber wenn das Geld ausgeht, ist es vorbei." Außerdem zeigt er sich besorgt, dass die Mittel für "absolut notwendige Projekte" nicht mehr reichen, wenn sie an Taliban fließen. Stahl muss in diesem Jahr für die Innensanierung der medizinischen Fakultät in Mazar-i-Sharif sowie für den Bau einer Solaranlage zur Stromversorgung 70 000 Euro aufbringen. Er befürchtet, dass dafür das Geld dann fehlt.

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