„Autoindustrie steht vor tiefem Umbruch“

Ohne den beschlossenen Zukunftspakt hätten VW-Standorte, die heute nur Verbrennungsmotoren oder Getriebe produzieren, im Zeitalter der Elektromobilität bald keine Perspektive mehr. Dies betont Volkswagen-Personalvorstand Karlheinz Blessing. Mit ihm sprach SZ-Redakteur Thomas Sponticcia.

Volkswagen baut im Rahmen eines Zukunftspaktes 23 000 Stellen in Deutschland ab. Muss die Belegschaft jetzt für den Dieselskandal bezahlen?

Blessing: Das Dieselthema engt unseren Spielraum ein, ist aber nicht die Ursache für den Wandel. Die Autoindustrie steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Weltweit verschärfen sich die CO-Vorschriften, und es wird für Automobilhersteller immer aufwendiger, die Normen mit Verbrennungsmotoren einzuhalten. Das macht die Elektromobilität attraktiv, zumal Ladezeiten kleiner und Reichweiten von Elektrofahrzeugen immer größer werden. Zugleich verändert die Digitalisierung Kundenwünsche und Automobiltechnik rasant: Das Auto wird eng mit seiner Umwelt vernetzt, Autohersteller werden Mobilitätsdienstleister. Mit dem Zukunftspakt schichtet die Marke Volkswagen Kapazitäten für diese Herausforderungen um. Immer mehr Mitarbeiter arbeiten an der Entwicklung von Batterien und Elektromotoren. Auch die Digitalisierung bringt mehrere tausend neue, hochwertige Arbeitsplätze. Wir werden auch weiter Leute einstellen.

Wie haben Sie die IG Metall vom Zukunftspakt überzeugt?

Blessing: Wir haben jedem Standort eine Zukunftsperspektive gegeben. Ohne den Zukunftspakt hätte ein Standort, der heute ausschließlich Verbrennungsmotoren oder Getriebe produziert, im Zeitalter der Elektromobilität in 20 bis 25 Jahren kein Produkt mehr, das er produzieren könnte. Natürlich war das Thema Arbeitsplätze das Hauptanliegen der IG Metall und der Betriebsräte. Deshalb haben wir den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 festgeschrieben.

Wie wollen Sie gleichzeitig Personalabbau, technischen Fortschritt und höhere Produktivität vereinbaren?

Blessing: Wir müssen unsere gesamten Kapazitäten an die neuen Verhältnisse anpassen. Zudem müssen wir Kosten senken, um die Marke Volkswagen profitabel zu machen, und wir müssen die Produktivität erhöhen. Da sind wir noch nicht gut genug. Wir wollen 2017 und 2018 die Produktivität jeweils um 7,5 Prozent erhöhen, 2019 und 2020 jeweils um fünf Prozent.

Wie wird der Personalabbau bei Volkswagen gestemmt?

Blessing: Betriebsbedingte Kündigungen haben wir ausgeschlossen. Wir werden die Personalreduzierung entlang der demografischen Kurve und über Altersteilzeit-Regelungen umsetzen. Das wird eine große Herausforderung für das Unternehmen. Derjenige, der über Altersteilzeit ausscheiden kann, hat nicht unbedingt den Arbeitsplatz, den wir streichen wollen. Wir werden auch viele Mitarbeiter für neue Aufgaben qualifizieren und intern umsetzen müssen. Zudem werden wir die Zahl der Leiharbeiter im Unternehmen reduzieren und den Austausch von Personal zwischen den Standorten und den Marken organisieren.

Was soll künftig die Stärke von Volkswagen sein?

Blessing: Volkswagen wird weiter sehr gute Autos bauen. Unsere SUV-Offensive beispielsweise wird zahlreiche neue Fahrzeuge bringen. Zugleich treiben wir die Elektromobilität intensiv voran. Im September hat die Marke Volkswagen den I.D. vorgestellt - ein Fahrzeug mit bis zu 600 Kilometern Reichweite, den Abmessungen eines Golf, der Innenraumgröße eines Passat und einem Preis, der dem eines Golf Diesel entspricht. Der I.D. ist für 2020 geplant, kurze Zeit später folgt ein weiteres Modell. Bis 2025 will die Marke Volkswagen eine Million Elektrofahrzeuge produzieren, der Konzern bis zu drei Millionen. Die deutschen Standorte werden das Zentrum der Elektromobilität und Digitalisierung sein. Dafür qualifizieren wir unsere Mitarbeiter und stellen, wenn Bedarf besteht, auch zusätzliche Experten ein.

Zum Thema:

Hintergrund Nach den massiven Stellenstreichungen bei Volkswagen fordert der CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs die Rückzahlung von Managerboni beim Autokonzern. Die VW-Großaktionäre sollten sich Bonuszahlungen bei den für den Abgasskandal verantwortlichen Spitzenmanagern zurückzuholen. VW sei im Kern schwer beschädigt worden. afp

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