Hinter verschlossenen Türen
Kehl · Alice Weidel aus Überlingen führt die Liste der 15 Bundestagskandidaten in Baden-Württemberg an. Wie es dazu gekommen ist, bleibt offen. Denn die Partei hat Berichte vom Landesparteitag nicht zugelassen.
Es ist kalt, höchstens sieben Grad. Nieselregen zieht feine Fäden vom grauen Himmel. Die Polizei ist mit Hundertschaften um die Stadthalle in Kehl postiert. Stahlgitter sperren weiträumig ab, was der Szenerie etwas von Käfighaltung gibt. In gebührendem Abstand skandieren rund 300 Demonstranten. Der Grund für den Aufruhr: Die "Alternative für Deutschland " (AfD) hat am Samstag ihre Kandidaten zur Bundestagswahl aufgestellt. Das Drumherum geriet spektakulärer als die Wahlvorgänge selbst. Stundenlang harrten angereiste, aber ausgesperrte Journalisten vor der Halle aus. Aus Nachrichtennot interviewten sich Journalisten gegenseitig, sprachen Wörter wie "Zumutung" und "Affront" in die Kameras. Zu berichten, wie die AfD ihre Kandidaten auswähle, sehe er sich nicht in der Lage, klagt ein altgedienter Journalist aus Freiburg. Das sei einmalig in der demokratischen Geschichte der Republik.
Seit der AfD-Vorstand mit dem knappen Votum von fünf zu vier beschlossen hatte, die Medienöffentlichkeit auszusperren, wurde darüber debattiert. Medien- und Staatsrechtler waren sich rasch einig: Juristisch ist die Entscheidung kaum zu beanstanden, aus Demokratie-Sicht ein Armutszeugnis. Auch beim Parteitag beharrten 60 Prozent der 580 AfD-Delegierten auf Ausschluss der Öffentlichkeit . Der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Verwaltungshochschule Speyer sieht Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Bislang seien alle Parteien sehr an Berichterstattung interessiert gewesen, die Rolle der "vierten Gewalt" sei durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Daran sei auch die Parteienfinanzierung gekoppelt: "Wenn man Gelder des Staates nimmt, muss man sein Handeln öffentlich machen." Mache die Abschottungshaltung der AfD indes Schule, müsse die Pflicht zur Transparenz im Parteiengesetz geregelt werden.
Landeschef Lothar Maier begründet den Ausschluss der Öffentlichkeit : "Wir haben es so oft erlebt, dass ein völlig einseitiges Stimmungsbild gezeichnet wurde", so Maier, nennt die Entscheidung persönlich aber auf schwäbisch "oogschickd" - ungeschickt. Vergleiche mit dem Gebaren der NPD verbat er sich. Die österreichische FPÖ verfahre im Übrigen auch so. Ein säuerlich lächelnder Landtags-Fraktionschef Jörg Meuthen, der an diesem Tag im "Spiegel" von seinem "beispiellosen politischen Abstieg" lesen konnte, distanzierte sich abermals: "Ich hätte es mir anders gewünscht." AfD-Mitglied Gernot Laude postete: "Der Ausschluss der Presse ist nicht gut. Wir sind keine Sekte, sondern eine werdende Volkspartei." Auf Facebook versammeln sich die anderen: "Diese Art von Presse brauchen wir nicht. Wir verbreiten über eigene Sozialmedien. Punkt."
Vollzug wurde dann am Sonntag verkündet. Rund 15 Frauen und Männer kandidieren für die baden-württembergische AfD für den Bundestag. An der Spitze der Liste steht die Unternehmensberaterin Alice Weidel aus Überlingen.
Meinung:
Die unehrliche Partei
Von SZ-Mitarbeiterin Gabriele Renz
Die AfD-Kandidaten für die Bundestagswahl sind gewählt. Wie dies genau geschah, welche Diskussionen es gab, das kann nur vermutet werden. Mit ihrem Beschluss, die Medien auszuschließen, machte die AfD die Journalisten zu dem, wofür sie sie hält: einseitig informierte Berichterstatter. Als Information dienen nur noch die AfD-Filterblasen auf Facebook - jenen Ort, der gespickt ist von Hassbotschaften.
Die Beweggründe, Medien auszuschließen, sind vielleicht sogar verständlich, aber letztlich verlogen. Wäre es der Partei wirklich darum gegangen, unvoreingenommene Einblicke in ihre Entscheidungsfindung zu geben, hätte sie einen Live-Stream schalten können, wie es die Grünen seit Jahren tun. Doch die AfD denkt nicht daran, sich ehrlich zu machen. Sie vertraut darauf, sowieso gewählt zu werden.