Auswärtiges Amt war kein Hort des Widerstandes

Berlin. Aus dem Zweck seiner Reise machte der deutsche Diplomat Franz Rademacher (Foto: dpa) im April 1943 kein Geheimnis mehr. Zurück aus Belgrad füllte der "Juden-Referent" des Auswärtigen Amtes gewissenhaft seine Abrechnung aus. In die Spalte "Art oder Gegenstand der Dienstgeschäfte" schrieb er, von Hand und gut leserlich: "Liquidation von Juden

Berlin. Aus dem Zweck seiner Reise machte der deutsche Diplomat Franz Rademacher (Foto: dpa) im April 1943 kein Geheimnis mehr. Zurück aus Belgrad füllte der "Juden-Referent" des Auswärtigen Amtes gewissenhaft seine Abrechnung aus. In die Spalte "Art oder Gegenstand der Dienstgeschäfte" schrieb er, von Hand und gut leserlich: "Liquidation von Juden." Selbst der kleinste Buchhalter durfte über seine Tätigkeit Bescheid wissen.

Die Abrechnung ist nur eines von vielen Dokumenten, die eine international besetzte Historiker-Kommission zur NS-Geschichte des Auswärtigen Amtes (AA) zutage gefördert hat. Die Kommission war 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) eingesetzt worden, nachdem es Streit um die Nachruf-Praxis für gestorbene Diplomaten gegeben hatte. Aus ihrem fast 900-seitigen Abschlussbericht ergibt sich nun ein ganz anderes Bild als das, was man in Deutschlands vornehmstem Ministerium so gern von sich pflegte: Die Diplomatie war im Dritten Reich kein "Hort des Widerstands", sondern ein fast reibungslos funktionierender Beamtenapparat aus Gleichgültigen, Mitläufern und Tätern. Widerstand gab es auch, aber er war die große Ausnahme.

Kommissionsleiter Eckart Conze geht sogar noch weiter. Für den Marburger Geschichts-Professor war das gesamte AA eine "verbrecherische Organisation". "Das Auswärtige Amt war an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt", sagte Conze der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Von den mehr als 6000 Diplomaten hätten "die allermeisten" am Holocaust mitgewirkt. Leute wie Botschaftsrat Gerhart Feine, der in Ungarn viele Juden vor der Deportation rettete, gab es wenige.

Bezeichnenderweise fand sich das einzige Protokoll der Wannsee-Konferenz, auf der 1942 die "Endlösung der Judenfrage" besiegelt wurde, im Archiv des AA. Die Kommission entdeckte auch, dass schon 1938 ein Besuch bei Hitler auf dem Obersalzberg und im Konzentrationslager Dachau zur Diplomaten-Ausbildung gehörte. Auch bei der Ausbürgerung von Hitler-Gegnern spielte das Ministerium eine wichtige Rolle. Der Kommission zufolge kam der entscheidende Anstoß für die Verstoßung des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann im Mai 1936 von Ernst von Weizsäcker (Foto: dpa), dem Vater des späteren Bundespräsidenten. Weizsäcker - damals deutscher Gesandter in der Schweiz, später Staatssekretär - wurde 1949 als einer von wenigen NS-Diplomaten verurteilt.

Trotz brauner Vergangenheit machten dann viele Mitglieder des Auswärtigen Dienstes nach Kriegsende weiter Karriere. Kein Wunder also, dass in Ministeriumsschriften das eigene Verhalten zur Nazi-Zeit immer wieder beschönigt wurde.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Rummelbooze !Vor lauter Halloween hat man eine gute deutsche und saarländische Tradition um Allerheiligen fast vergessen: Das Schnitzen von Fütterrüben, den Rummelbooze. Diese Rübengeister sollen im Herbst die bösen Mächte der Finsternis vertreiben.
Rummelbooze !Vor lauter Halloween hat man eine gute deutsche und saarländische Tradition um Allerheiligen fast vergessen: Das Schnitzen von Fütterrüben, den Rummelbooze. Diese Rübengeister sollen im Herbst die bösen Mächte der Finsternis vertreiben.
Tagesanlage KarlsbrunnEine Bergbaubrache neu zu nutzen als Standort für erneuerbare Energie - diese Bürger-Idee schien anfangs nur ein schöner Traum zu sein. Jetzt, da sie in Karlsbrunn Wirklichkeit werden soll, erheben Bürger Einspruch. Eine komplizierte
Tagesanlage KarlsbrunnEine Bergbaubrache neu zu nutzen als Standort für erneuerbare Energie - diese Bürger-Idee schien anfangs nur ein schöner Traum zu sein. Jetzt, da sie in Karlsbrunn Wirklichkeit werden soll, erheben Bürger Einspruch. Eine komplizierte