Albtraum beim WeihnachtsbummelBisher vom Terror verschont

Stockholm. Schweden hat mit den Stockholmer Anschlag vom Samstag zum ersten Mal Bombenterror mit islamistischem Hintergrund erlebt. Das skandinavische Land gilt im europäischen Vergleich als betont offen gegenüber muslimischen Zuwanderern

 Festlich beleuchtet, von der Polizei gesperrt: Die Drottninggatan ist die beliebteste Einkaufsstraße in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Am Samstag ereignete sich dort ein Terroranschlag. Zwei Explosionen erschütterten die Straße. Foto: dpa

Festlich beleuchtet, von der Polizei gesperrt: Die Drottninggatan ist die beliebteste Einkaufsstraße in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Am Samstag ereignete sich dort ein Terroranschlag. Zwei Explosionen erschütterten die Straße. Foto: dpa

Stockholm. Schweden hat mit den Stockholmer Anschlag vom Samstag zum ersten Mal Bombenterror mit islamistischem Hintergrund erlebt. Das skandinavische Land gilt im europäischen Vergleich als betont offen gegenüber muslimischen Zuwanderern. Allerdings schafften die rechtspopulistischen Schwedendemokraten bei den Reichstagswahlen im September erstmals den Einzug ins Parlament mit ihrer Forderung nach massiven Verschärfungen bei der Ausländerpolitik.

Morddrohungen durch gewaltbereite Islamisten ist immer wieder der Zeichner Lars Vilks ausgesetzt. Zwei Jahre nach den weltweit umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen der Zeitung "Jyllands-Posten" stellte er 2007 eine Zeichnung mit dem Propheten Mohammed als Hund aus. Seitdem wurde Vilks mehrfach angegriffen. Zwei Islamisten versuchten vergeblich, sein einsam gelegenes Haus in Südschweden in Brand zu setzen. Sie wurden gefasst und verurteilt.

Politische Gewalt haben die Stockholmer bei Anschlägen auf führende Politiker erlebt. Am 28. Februar 1986 erschoss ein Mann den damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme. Am 11. September 2003 starb Außenministerin Anna Lindh nach Messerstichen bei einem Kaufhausbesuch. dpa Stockholm. Zeitpunkt und Ort hätte der Attentäter von Stockholm nicht schlimmer wählen können. Zum absoluten Höhepunkt der vorweihnachtlichen Einkaufszeit in der Drottninggatan, der beliebtesten Einkaufsstraße der schwedischen Hauptstadt, wollte der Selbstmordattentäter wohl so viele Menschen wie irgend möglich mit in den Tod reißen. Dass am Ende lediglich der Terrorist starb und nur zwei Passanten leicht verletzt wurden, ist ein Trost für das schockierte Schweden, das von islamistischem Bombenterror bisher verschont blieb.

Der Anschlag kam zu einem für die Skandinavier extrem sensiblen Zeitpunkt: Gerade jetzt senkt sich mit dem traditionellen Lucia-Fest, jedes Jahr am 13. Dezember, vorweihnachtlicher Frieden über das Land. Geehrt werden mit dem Lichterfest auch die Nobelpreisträger, die Stockholm gerade eine Woche lang Glanz verliehen hatten. "Ich hätte nie gedacht, dass so etwas im Stockholmer Stadtzentrum oder überhaupt in Schweden passieren könnte", erklärte Staatsanwalt Thomas Lindstrand.

Am Samstagabend, nur wenige Stunden nach den beiden Explosionen, versammelten sich die diesjährigen Preisträger mit König Carl Gustaf, Königin Silvia und der schwedischen Regierungsspitze zu einem Festbankett auf dem Stockholmer Schloss. Knapp zwei Kilometer entfernt untersuchten zur selben Stunde Polizisten die Leiche des Attentäters und das ausgebrannte Auto, um möglichst bald Klarheit zu schaffen. Waren die Explosionen das Werk eines einsam handelnden Terroristen oder eine gezielte Aktion des Netzwerkes Al Qaida?

Vor islamistischen Anschlägen hatten die westlichen Geheimdienste übereinstimmend und eindringlich seit Oktober gewarnt und als wahrscheinlichen Zeitraum "bis Weihnachten" angegeben. "Wir können erst mal nichts ausschließen", sagte Anders Thornberg, Sprecher der Sicherheitspolizei Säpo. Indizien sprachen aber zunächst für einen allein agierenden Täter, schon weil Al Qaida mit Anschlägen fast immer nur im Nachhinein prahlt. In Stockholm aber scheint der Attentäter seinen Anschlag vorab wortreich begründet zu haben.

Was bei der Nachrichtenagentur TT und der Polizei wenige Minuten vor den Detonationen als Mail einging, stellt die schwedische Politik auf eine harte Probe. Der konservative Regierungschef Fredrik Reinfeldt bemüht sich um die Bewahrung der traditionell liberalen Zuwanderungspolitik und einen weit freundlicheren Ton gegenüber der wachsenden islamischen Minderheit als der Nachbar Dänemark. Das dürfte nach dem Bekanntwerden des Wortlauts der Drohmails nicht leichter werden. Darin rief ein Mann - höchstwahrscheinlich der Selbstmordattentäter - zum "Heiligen Krieg" gegen Schweden auf. In der Mail nannte er "das Schweigen des schwedischen Volkes" zur Mohammed-Karikatur des heimischen Künstlers Lars Vilks sowie die Anwesenheit schwedischer Soldaten in Afghanistan als Grund für seine Tat: "Jetzt müssen eure Kinder, Töchter und Schwestern sterben."

Schweden hat an diesem dritten Advent-Wochenende zum ersten Mal überhaupt eigene Erfahrungen mit Bombenterror gemacht (siehe Text rechts). "Das war ein höchst beunruhigender Versuch eines Terroranschlags", twitterte Außenminister Carl Bildt noch am Samstagabend aus dem Stockholmer Schloss, als er eigentlich nur in Ruhe und Frieden mit den Nobelpreisträgern feiern wollte. "Missglückt - aber es hätte wirklich katastrophal ausgehen können."

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