Scheitert Jamaika? Ein Stolperstein namens Familiennachzug

BERLIN Die Frage, wie die Zuwanderungspolitik gestaltet werden soll, dürfte einer der Stolpersteine auf dem Weg zu einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen sein. Und damit ist nicht allein die Unions-Forderung einer Höchstgrenze von 200 000 Flüchtlingen gemeint, die maximal im Jahr aufgenommen werden sollen. Mindestens genauso heikel ist das komplizierte Thema Familiennachzug.

Die Ausgangslage: Der Familiennachzug zu Flüchtlingen mit subsidiärem (eingeschränktem) Schutz wurde mit dem Asylpaket II im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Betroffen sind hiervon vor allem Flüchtlinge aus Syrien. Für sie ist ein legales Nachholen von engen Angehörigen wie Ehepartner, Kinder, Eltern nur noch in Härtefällen möglich, die bürokratischen Hürden sind dafür hoch. Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz können sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl berufen – aber auch nicht nach Hause geschickt werden, weil ihnen dort Folter oder Todesstrafe droht. Grundsätzlich gilt: Wichtigste Voraussetzung für einen Nachzug ist, dass ein Familienangehöriger bereits eine gültige Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland besitzt. Dann gibt es ein Recht darauf. Während eines noch laufenden Verfahrens für eine Anerkennung als politischer oder Kriegsflüchtling ist eine Zusammenführung also nicht möglich.

Die Zahlen: Regelmäßig kursieren Zahlen, wonach angeblich Hunderttausende Menschen – oder gar Millionen – über den Familiennachzug zusätzlich ins Land kommen könnten. Die Wahrheit ist, dass es laut Auswärtigem Amt lediglich „grobe Schätzungen“ gibt. Niemand kann also genau sagen, wie viele Menschen die Möglichkeit nutzen würden, wenn sie dies dürften. Derzeit bemühen sich laut Außenministerium rund 70 000 Syrer und Iraker, Familienangehörige nachzuholen. Um wie viele Angehörige es dabei genau geht, konnte nicht beantwortet werden. Von Anfang 2015 bis Mitte 2017 seien rund 102 000 Visa zum Familiennachzug erteilt worden.

Die Rechnung: Die nahm gestern die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke vor: Im Zeitraum 2015 bis Mitte 2017 hätten etwa 360 000 syrische und irakische Asylsuchende einen Asyl- oder Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Beides berechtigt zum Familiennachzug. Wenn im gleichen Zeitraum jedoch nur gut 100 000 Visa erteilt worden seien und derzeit noch etwa 70 000 Familienangehörige darauf warteten, ergebe sich ein rechnerischer „Nachzugsfaktor“ von 0,5, erklärte Jelpke. Das sei kein Vergleich zu den Befürchtungen des Bundesinnenministers, die Flüchtlingszahlen könnten sich durch den Familiennachzug verdoppeln oder gar verdreifachen. Gleichwohl: Ein Sprecher des Innenministeriums betonte, man habe keinen Richtwert propagiert, aber es gebe entsprechende Expertenmeinungen. Klar sei, wie viele Menschen einen Anspruch hätten, unklar aber, „wer tatsächlich davon Gebrauch macht“.

Die Jamaika-Partner: Die Union will dort, wo es möglich ist, den Familiennachzug weiter begrenzen. Also sollen Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz auch nach März kommenden Jahres ihre Angehörigen nicht nachholen dürfen. Die FDP will den Familiennachzug wie die gesamte Einwanderung besser steuern und ordnen. Die Grünen hingegen sind strikt gegen Einschränkungen.

Fazit: Die Jamaika-Verhandlungen über dieses Thema dürften extrem schwierig werden. Eine Kompromisslinie ist nicht in Sicht. Die Befürworter der Maßnahme erklären, dass damit ein Stoppschild gesetzt werde, da viele Flüchtlinge nur vorübergehend in Deutschland bleiben sollen. Kritiker halten dagegen: Wenn Kinder oder Ehegatten nicht nachgeholt werden dürften, erschwere dies die Integration.

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