Schlechte Stimmung in der Truppe

Berlin. Immer im Januar stellt der Wehrbeauftragte des Bundestages seinen Jahresbericht über die bei ihm eingegangenen Beschwerden vor, und immer erinnert die Bundeswehr dann an Szenen aus "Ich glaub, mich knutscht ein Elch" oder ähnlichen Militär-Klamotten

Berlin. Immer im Januar stellt der Wehrbeauftragte des Bundestages seinen Jahresbericht über die bei ihm eingegangenen Beschwerden vor, und immer erinnert die Bundeswehr dann an Szenen aus "Ich glaub, mich knutscht ein Elch" oder ähnlichen Militär-Klamotten. Auch gestern beim Presseauftritt des derzeitigen Amtsinhabers Hellmut Königshaus war es nicht anders, wobei der FDP-Politiker allerdings eine langsam besser werdende Fürsorge sowohl des Verteidigungsministeriums als auch des Bundestages für die Soldaten feststellte. Besonders krasse Mängel lieferte wieder einmal das Thema Ausrüstung. Viele Soldaten besorgen sich Einsatzhosen und Kampfjacken selbst und geben dafür, so Königshaus, bis zu 1000 Euro aus. So gibt es von der "Schutzweste Spezialkräfte" viel zu wenige, und die ersatzweise beschaffte "Schutzweste Infanterie" hat einen entscheidenden Nachteil: Sie ist so groß und schwer, dass sie die Bewegung im Einsatz "erheblich einschränkt".Weiteres Problem: Die Sitze der neu beschafften Fahrzeuge sind so konzipiert, "dass ein Sitzen im Fahrzeug mit vorschriftsmäßig angelegter Schutzweste egal welcher Ausführung sehr erschwert beziehungsweise bei voller Besetzung nicht möglich ist". Manches in dem Bericht erinnert an einen Schildbürgerstreich: Weil Munitionsmangel herrscht, werden die Patronen beim Üben knapp gehalten. Ergebnis laut Königshaus: "Einem Großteil der Teilnehmer der Einsatz vorbereitenden Ausbildung fehlt es an Grundfertigkeiten im Umgang mit Handfeuerwaffen." Wenn das die Taliban wüssten. Der Mangel ist laut Königshaus möglicherweise auch ein Grund für die Häufung von Schieß-Unfällen durch unbeabsichtigtes Auslösen. Das Heeresführungskommando hat darauf laut Bericht auf zweierlei Weise reagiert. Zum einem mit einer Broschüre, die vor solchen Unfällen warnt, zum anderen mit dem Entmotten von 227 Millionen alter Patronen. Weil die teilweise angerostet sind, müssen derzeit rund 30 Mitarbeiter jede Patrone prüfen und im Zweifel aussortieren.

So geht es in dem Bericht des Wehrbeauftragten munter weiter. Im Großen stellte Königshaus zwei gegensätzliche Entwicklungen fest. Zum einen reagieren Wehrführung, Ministerium und Parlament inzwischen besser auf Beschwerden - 4864 waren es im letzten Jahr, geringfügig weniger als im Jahr davor. So wurde die Versorgung von Soldaten, die im Einsatz geschädigt wurden, durch ein neues Gesetz erheblich verbessert. Der Mangel an geschützten Fahrzeugen wurde weitgehend behoben. Und die Möglichkeit, mit den Angehörigen daheim zu kommunizieren, ist ebenfalls verbessert worden.

Zum anderen aber ist die Bundeswehr immer noch kein wirklich attraktiver Arbeitgeber, der es mit der freien Wirtschaft als Konkurrent aufnehmen kann. Das aber muss sie, seit sie eine Freiwilligenarmee ist. Häufige Versetzungen, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ein Beförderungsstau stehen auf der Negativliste des Wehrbeauftragten. Angesichts von Personalabbau und Standortschließungen herrsche "schlechte Stimmung und tief greifende Verunsicherung", sagte Königshaus. Foto: Pilick/dpa

Meinung

Bundeswehr vor Bewährungsprobe

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Was sollte jemanden locken, freiwillig den Beruf Soldat zu ergreifen? Zumal, wenn er solche Berichte über Missstände und Unzulänglichkeiten liest, wie der Wehrbeauftragte sie gestern wieder anprangerte. Berufliche Sicherheit und Aufstiegschancen allein dürften da nicht reichen. Nach der abrupten Umstellung von der Wehrpflichtigen- zur Freiwilligenarmee beginnt für die Bundeswehr jetzt die schwierigste Phase, nämlich die des Übergangs. Der Arbeitsmarkt lässt zurzeit aber nicht viele Bewerber übrig. Jetzt ist die Durchhaltefähigkeit der Politik gefragt, vor allem ihre Phantasie und ihre Kreativität. Ein bisschen Werbung wird da nicht reichen. Sehr wahrscheinlich wird man für das geplante Attraktivitätsprogramm wesentlich mehr Geld und Zeit brauchen, als man dachte.

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