Roth-grüne Harmonie in Hannover"Ich war traurig"

Hannover. Claudia Roth war den Tränen nah. Doch diesmal vor Freude. Nur eine Woche nach Bekanntgabe ihrer krachenden Niederlage bei der Urwahl für die grüne Spitzenkandidatur kannte der Jubel für sie keine Grenzen. Mit 88,5 Prozent hatten die Parteitagsdelegierten Roth erneut zur Vorsitzenden bestimmt

 Spaßpartei: Grünen-Chef Cem Özdemir und Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Foto: dpa

Spaßpartei: Grünen-Chef Cem Özdemir und Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Foto: dpa

Hannover. Claudia Roth war den Tränen nah. Doch diesmal vor Freude. Nur eine Woche nach Bekanntgabe ihrer krachenden Niederlage bei der Urwahl für die grüne Spitzenkandidatur kannte der Jubel für sie keine Grenzen. Mit 88,5 Prozent hatten die Parteitagsdelegierten Roth erneut zur Vorsitzenden bestimmt. Nach den gut 91 Prozent vor elf Jahren ist es das zweitbeste Wahlergebnis ihrer Chef-Laufbahn. Die Trauerzeit sei vorbei, hatte Roth zuvor in ihrer Bewerbungsrede erklärt. Jetzt müssten die Delegierten sagen, "ob das Vertrauen noch da ist". Schon zu diesem Zeitpunkt war am donnernden Applaus abzulesen, dass die Grünen ihr ein Traumergebnis bescheren würden. Am Ende flogen sogar Bonbons, wurden grüne Schals geschwenkt und massenhaft Küsschen verteilt. Das ebenfalls gute Abschneiden von Cem Özdemir, der mit fast 84 Prozent wieder gewählt wurde, ging in der Euphorie fast unter.Die Analyse erfahrener Delegierter fiel freilich nüchterner aus: Das Resultat verschaffe Roth Luft, um sich ohne größeren Gesichtsverlust in absehbarer Zeit aus der ersten Reihe zurückzuziehen. "Man kann das schon Abfindung nennen", meinte eine Parteigängerin lakonisch. Der Parteitags-Harmonie in Hannover war das ganze Schauspiel um Roth allerdings dienlich. Manche verstiegen sich gar zu der These, dass das Delegiertentreffen ohne Urwahl-Debakel für die alte und neue Vorsitzende so einträchtig nie verlaufen wäre. "Da wurde schon im Vorfeld viel Aggressions-Potenzial abgeräumt."

Tatsächlich suchen sich grüne Parteitage in aller Regel ein Ventil, das die Parteioberen schon öfter zittern ließ. Doch diesmal blieben radikale Beschluss-Korrekturen aus. Was auch daran lag, dass die Vorlagen des Vorstands schon radikal genug waren. So zeichnet etwa das beschlossene Papier zur Sozialpolitik ein überaus düsteres Bild der Gesellschaft: Deutschland sei heute "ein Land privaten Reichtums der oberen zehn Prozent" und "öffentlicher Armut für die Mehrheit". Um diesen Zustand zu beenden, soll der Spitzensteuersatz drastisch steigen und die Erbschaftsteuer verdoppelt werden. Zugleich dürfen die Jobcenter einstweilen keine Sanktionen mehr für Hartz-IV-Empfänger verhängen. Obendrein wird eine schrittweise Anhebung des Regelsatzes von 374 auf 420 Euro gefordert. Ein Änderungsantrag der Linken für eine noch höhere Aufstockung wurde hinter den Kulissen entschärft, indem man ihnen eine Formulierung zusicherte, dass die 420 Euro schneller erreicht würden als ursprünglich anvisiert.

Nur mit Mühe konnte die Parteitagsregie dagegen das Begehren abwehren, die Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger sofort abzuschaffen, anstatt nur auf Eis zu legen. Die unklaren Mehrheiten im Saal erzwangen eine schriftliche Auszählung, bei der die Linken jedoch den Kürzeren zogen. Trotzdem war man bei ihnen zufrieden. Denn auch der Realo-Flügel sprach viel von sozialer Gerechtigkeit. "Wir wollen eine solidarische Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird", erklärte Özdemir.

Dass das mit der Union nicht zu machen ist, sondern nur mit der SPD, betonten alle Redner unisono. Von dieser Stimmung war dann offenbar auch die Wahl des Parteirats geprägt. In dem 16-köpfigen Beratungsgremium des Vorstands musste der Tübinger OB Boris Palmer seinen Platz räumen, vielleicht auch, weil er ein Anhänger von Schwarz-Grün ist. Damit ist diese Diskussion aber noch längst nicht beendet. In einem Interview warnte der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, am Wochenende seine Partei vor jeder "Ausschließeritis". Wenn der Wähler anders entscheiden sollte, dürfe man nicht handlungsunfähig sein.Frau Roth, sind die Grünen schizophren?

Roth: Nein, die Grünen differenzieren zwischen Funktion und Amt. Die Spitzenkandidatur für den Bundestagswahlkampf und der Parteivorsitz sind zwei verschiedene Paar Stiefel.

Die beiden Ergebnisse für Sie waren aber extrem verschieden.

Roth: Nach der Klatsche bei der Urwahl ging es mir darum, eine ehrliche Antwort zu erhalten, ob mich die Partei als Vorsitzende weiter will. Und ich habe verstanden, dass die Urwahl keine Wahl gegen mich war, sondern eine für Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin. Wenn die Urwahl tatsächlich eine Wahl gegen mich gewesen wäre, dann hätte ich nicht ein so überzeugendes Ergebnis beim Vorsitz bekommen.

Sind Sie mit Ihrer Partei jetzt wieder versöhnt?

Roth: Ich war nicht unversöhnt, aber traurig. Allerdings habe ich danach so viele aufmunternde Anrufe, Briefe und Mails bekommen wie noch nie in meinem Leben. Das war für mich entscheidend dafür, erneut anzutreten.

Was lehrt Sie dieses Wechselbad der Gefühle?

Roth: Dass Demokratie auch heißt: Man kann nicht jede Wahl gewinnen. Was aber nicht heißt, dass ich es bereue, die Urwahl initiiert zu haben. Ganz im Gegenteil. Denn gerade hier sehen die anderen Parteien alt aus. Und ich ziehe daraus die Lehre, mich jetzt richtig in den Parteivorsitz reinzuhängen.

Sie machen diesen Job mit einer Unterbrechung schon seit 2001. Was wollen Sie da noch ändern?

Roth: Ich will Schwarz-Gelb ablösen.

Aber gleichzeitig schließen Sie Schwarz-Grün kategorisch aus. Noch vor drei Jahren war ein Grünen-Parteitag gegen alle "Ausschließeritis" zu Felde gezogen. Was gilt denn nun?

Roth: Damals haben die Grünen klargestellt, dass ihr die SPD näher ist als die Union. Denn bei der Union hängt immer noch die kleine Schwester aus Bayern, die CSU, dran und mit der sehe ich nun überhaupt keine inhaltlichen Überschneidungen. Das hat nichts mit Ausschließeritis zu tun, sondern mit Glaubwürdigkeit. Die größten inhaltlichen Gemeinsamkeiten gibt es mit der SPD. Deshalb kämpfen wir bei der Bundestagswahl als Erstes für starke Grüne und dann wollen wir mit der SPD die Regierung Merkel ablösen.

Am Rande

Saar-Grünen-Chef Hubert Ulrich hat eine "durch und durch positive Bilanz" des Parteitages von Hannover gezogen. Seine Partei habe ihr "sozial-liberales Profil" bestätigt, ohne den "seriösen Pfad" zu verlassen, sagte er gestern der SZ. Sie habe die Linie in der Bildungs- und Sozialpolitik konsequent fortgesetzt und sich nicht von Beschlüssen aus der rot-grünen Regierungszeit verabschiedet. "Die Versuche, aus den Grünen eine bessere Linkspartei zu machen, sind gescheitert", lobte Ulrich. Zudem habe man sich keine Diskussion über schwarz-grüne Bündnisse aufdrängen lassen. ulb

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