Eine tickende Zeitbombe namens Frankreich

Paris. Ein Hingucker ist die Titelseite des "Economist" allemal. Die Spezialausgabe über den Zustand Frankreichs illustriert das renommierte Wirtschaftsmagazin, das schon häufiger mit süffisant-boshaften Geschichten über Frankreich aufgefallen ist, mit einer Baguette-Bombe. "Die Zeitbombe im Herzen Europas" steht darüber. Eine Provokation, die in Paris wenig amüsiert

 Die umstrittene Titelseite mit der Baguette-Bombe. Foto: The Economist

Die umstrittene Titelseite mit der Baguette-Bombe. Foto: The Economist

Paris. Ein Hingucker ist die Titelseite des "Economist" allemal. Die Spezialausgabe über den Zustand Frankreichs illustriert das renommierte Wirtschaftsmagazin, das schon häufiger mit süffisant-boshaften Geschichten über Frankreich aufgefallen ist, mit einer Baguette-Bombe. "Die Zeitbombe im Herzen Europas" steht darüber. Eine Provokation, die in Paris wenig amüsiert. Industrieminister Arnaud Montebourg erklärte, das Magazin habe sich "noch nie durch seinen Sinn fürs Maßhalten hervorgetan". Auch Arbeitgeber-Präsidentin Laurence Parisot, die der Regierung selbst unternehmensfeindliche Politik vorgeworfen hat, hält die Darstellung für "absolut übertrieben". Das Frankreich-Spezial sei schon wieder überholt. Es wurde verfasst, bevor die sozialistische Regierung einen "Pakt zur Wettbewerbsfähigkeit" beschlossen hat, der milliardenschwere Steuer-Erleichterungen für Unternehmen vorsieht, finanziert durch Ausgaben-Kürzungen und eine Mehrwertsteuer-Erhöhung.Tatsächlich geht der "Economist" darauf nur am Rande ein. Er konzentriert sich auf die beunruhigenden Wirtschaftsindikatoren, den ungenügenden Reformwillen und die historischen Gründe für französischen Staats-Dirigismus und "instinktive Kapitalismus-Feindlichkeit". Zwar ist das Bild, das die britischen Journalisten zeichnen, längst nicht so einseitig wie das provokante Titelblatt und das entrüstete Echo darauf vermuten lassen. Vorzüge werden durchaus anerkannt: Frankreich sei die fünfte Volkswirtschaft und sechste Exportnation der Welt, verfüge über starke und weltweit führende Unternehmen etwa in der Luxus-, Pharma- oder Mode-Industrie, die Infrastruktur, das Gesundheitssystem und die Elitehochschulen seien hervorragend und die Geburtenrate hoch.

Wirtschaftlich aber fällt das Land seit Jahren ab, und zwar immer rasanter. Mit einem Anteil der öffentlichen Ausgaben von fast 57 Prozent steht es an der Spitze Europas, die Schuldenlast übersteigt 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Arbeitslosigkeit wächst, eine Rezession droht. Reformen des Arbeitsmarktes, des Renten-, Sozial- und Gesundheitssystems ließen auf sich warten, beklagen die Autoren: "So viel zu tun, so wenig Zeit." Frankreichs Industrie habe massiv an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, auf den Unternehmen lasteten zu hohe Sozialabgaben, eine exzessive Regulierung bremse Firmen aus. Präsident François Hollande gelte zwar als europafreundlicher Sozialdemokrat, doch habe er "Natur und Ausmaß der Krise nicht erkannt", heißt es in dem Bericht, der sogar das Verbleiben Frankreichs im Euro-Raum infrage stellt.

Es ist eine Mahnung in einer Zeit, in der sich Befürchtungen mehren, Frankreich werde das neue Sorgenkind Europas; Ökonomen warnen seit einiger Zeit, die historisch niedrigen Zinsen, die es derzeit auf den Finanzmärkten erhält, könnten rasch nach oben schnellen. Medienberichte, nach denen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die deutschen Wirtschaftsweisen mit Reformvorschlägen für den Nachbarn beauftragt haben soll, fanden in Paris ein gereiztes Echo. Zumal die "Bild"-Zeitung zuvor gefragt hatte, ob Frankreich das neue Griechenland werde und Ex-Kanzler Gerhard Schröder erklärt hatte, Präsident Hollande werde "schon bald einräumen müssen, dass er nicht einhalten kann, was er im Wahlkampf versprochen hat". Man brauche keine Lektionen, erwiderte Premierminister Jean-Marc Ayrault, der nun auch den Bericht des "Economist" eine "Beleidigung" nennt.

Meinung

Schützenhilfe

für Hollande

Von SZ-KorrespondentinBirgit Holzer

Ob der "Economist" das beabsichtigt hat oder nicht - mit seinem Frankreich-Spezial kann das Magazin der französischen Regierung helfen, unpopuläre Reformen umzusetzen, ohne dass der Widerstand der Bevölkerung alles blockiert. Wie jede Nation interessiert die Franzosen das Bild von sich, das ihnen das Ausland widerspiegelt. Die Anmahnung einer ausstehenden Modernisierung auf vielen Ebenen trägt zunächst zu großer Verunsicherung bei. Aber sie erhöht eben auch die Bereitschaft, Opfer zu akzeptieren, trotz einer fast schon traditionellen Veränderungsfeindlichkeit. Dass Nachbarn wie Italien und Spanien diese Opfer bereits auf sich nehmen, bleibt den Franzosen nicht verborgen.

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