Freispruch für Dreckschleudern

Brüssel/Straßburg · Welche Konsequenzen zieht Brüssel aus dem VW-Abgasskandal? Die Antwort: Wenige. Die Parlamentarier haben gestern beschlossen, dass Dieselautos auch weiterhin die Grenzwerte weit überschreiten dürfen.

Es ist ein Freispruch für die Dreckschleudern auf unseren Straßen. Noch bis zum Januar 2017 dürfen die Dieselauto bis zu 110 Prozent mehr Stickoxide in die Luft blasen, als nach der geltenden Euro-VI-Norm der EU eigentlich erlaubt ist. Für Neufahrzeuge gilt der Freibrief sogar bis 2019. Erst ab 2020 müssen deren Emissionen gesenkt werden - aber auch dann dürfen sie noch um 50 Prozent höher liegen als ursprünglich geplant. Das hat das Europäische Parlament gestern beschlossen und damit vorerst einen Schlussstrich unter die Frage gezogen, welche Konsequenzen aus dem Abgas-Skandal gezogen werden.

Im Zuge der Volkswagen-Affäre war herausgekommen, dass die Fahrzeuge, deren Werte bisher nur auf einem Rollenprüfstand ermittelt wurden, deutlich mehr Schadstoffe abgaben als erlaubt. Nun sollen die Mitgliedstaaten in spätestens zwei Jahren neue Messmethoden unter normalen Fahrbedingungen (RDE = Real Drive Emissions) einführen. Völlig offen bleibt mit der Einigung des Parlaments, wann die längst beschlossenen Grenzwerte von maximal 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer wieder eingehalten werden müssen.

"Die neuen Grenzwerte sind ambitioniert, aber machbar", verteidigte der CDU-Europa-Abgeordnete Jens Gieseke das Ergebnis der Abstimmung. Sein Fraktionskollege und Umweltexperte Karl-Heinz Florenz bezeichnete die Einführung der neuen Messmethode sogar als "Meilenstein für den Gesundheits- und Verbraucherschutz." Dagegen warf die Chefin der Grünen-Parlamentsfraktion, Rebecca Harms, Christ- und Sozialdemokraten vor, "das Prinzip der Grenzwertüberschreitung zum Gesetz" zu machen: "Die Interessen der Automobilindustrie scheinen letztendlich mehr zu wiegen als die Gesundheit der Menschen."

Dabei gibt es nach Angaben der Grünen erhebliche rechtliche Bedenken gegen die Einigung. Die wurde nämlich vor allem im "Technischen Ausschuss Kraftfahrzeuge" vorbereitet, in dem die EU-Kommission und die Vertreter der Mitgliedstaaten unter sich sind. Der Rechtsausschuss der Abgeordnetenkammer hatte erst am Montag erklärt, dass die Kommission nicht das Recht habe, sich derart weit von der bereits verabschiedeten Gesetzgebung des Ministerrates und des Parlaments zu entfernen. Mit anderen Worten: Der Ausschuss hätte niemals solch drastische Spielräume akzeptieren dürfen. Doch die Mehrheit der Volksvertreter vertrat am Ende die Meinung, dass man zum einen die neuen Messverfahren nicht noch länger hinausschieben dürfe und zum andedren den Herstellern, die die eigentlich vorgeschriebenen Grenzwerte zuvor als "illusorisch und nicht erreichbar" bezeichnet hatten, entgegenkommen müsse.

Die EU-Kommission soll nun die Hersteller strikter überwachen und kann dabei auf eine neue Behörde setzen, deren Errichtung vor zwei Wochen beschlossen wurde. Sie soll künftig für die Zulassung neuer Fahrzeugtypen und die unabhängige Ermittlung der Abgaswerte zuständig sein und damit jene Aufgabe übernehmen, die die Autobauer bislang in Eigenregie durchführten. Doch seit dem Volkswagen- und weiteren Abgas-Skandalen ist das Vertrauen in die Branche geschwunden.

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