Die Schmerz-Begleiterin

Saarbrücken. Linksrechtslinksrechts. Zeige- und Mittelfinger von Juliane Grodhues schwingen hin und her, die Augen des Patienten folgen ihr, während er sich innerlich hinbewegt zu Bildern der belastenden Situation des Verlustes. Er muss zurück bis zum tiefsten Schmerzpunkt. Augen zu und Stille. Grodhues schweigt ebenfalls. Sie fragt so wenig wie möglich

 Die Saarbrücker Trauer-Spezialistin Juliane Grodhues mit dem Foto ihres verstorbenen Onkels - eine Nachtod-Begegnung mit ihm gab den Anstoß dazu, sich in der neuen Methode IADC fortzubilden. Foto: Oliver Dietze

Die Saarbrücker Trauer-Spezialistin Juliane Grodhues mit dem Foto ihres verstorbenen Onkels - eine Nachtod-Begegnung mit ihm gab den Anstoß dazu, sich in der neuen Methode IADC fortzubilden. Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Linksrechtslinksrechts. Zeige- und Mittelfinger von Juliane Grodhues schwingen hin und her, die Augen des Patienten folgen ihr, während er sich innerlich hinbewegt zu Bildern der belastenden Situation des Verlustes. Er muss zurück bis zum tiefsten Schmerzpunkt. Augen zu und Stille. Grodhues schweigt ebenfalls. Sie fragt so wenig wie möglich. Irgendwann kehrt der Patient zurück und berichtet von dem, was er als "real" erlebt hat - von einer Begegnung mit einem Menschen, der verstorben ist, sei es der plötzlich an Herzinfarkt verstorbene Bruder oder die verunglückte Tochter. "Die Patienten erzählen, dass sie getröstet wurden, weil ihnen gesagt wurde, sie hätten keine Schuld an den Vorkommnissen. Oder sie hören, dass es den Toten, dort, wo sie sind, gut geht", sagt Grodhues und weiß, wie das klingt. Nach Hokuspokus oder spirituellen Sitzungen mit bizarren Jenseits-Spaziergängen, wie sie von TV-Privatsendern inszeniert werden. Dabei handelt es sich bei der von ihr praktizierten IADC-Methode - der eingeleiteten Nachtod-Kommunikation - um ein seriöses Therapie-Instrument. Nicht der Therapeut stellt sich als Medium und Kontaktperson zur Verfügung, sondern ausschließlich der Patient durchlebt einen inneren Prozess.Der IADC-Vater Dr. Allan Botkin, bei dem sich Grodhues in den USA ausbilden ließ, hat darüber viele klinische Aufzeichnungen gemacht und Bücher veröffentlicht - ohne wissenschaftliche Erklärungen für das Phänomen liefern zu können. Existierende psychologische Theorien versagen, doch die Heilungserfolge sind unstrittig. "Alle von Botkin befragten Therapeuten, die mit IADC arbeiten, berichten von besseren Ergebnissen als bei anderen Methoden", sagt Grodhues. Bei IADC gehe es nicht darum, "die Trauer gänzlich zu tilgen, sondern sie weniger schmerzhaft zu erfahren". Bis in die 90er Jahre hätte man in Therapien meist darauf hingearbeitet, die Verbindung mit dem Toten endgültig zu lösen. Was bei nicht wenigen Patienten Widerstand und Verlustängste auslöste, weil sie meinten, nur über den Trauerschmerz auch die Erinnerung behalten zu können. Laut Grodhues wird durch IADC jedoch eine neue, gesunde Verbindung gestiftet. 75 Prozent, so Grodhues, die sich auf US-Studien bezieht, machten diese positive Erfahrung der Aussöhnung mit der Situation. Erzwingen lassen sich Nachtod-Begegnungen allerdings nicht. Bei einem Viertel der IADC-Patienten bleiben sie aus. "Je mehr man fokussiert ist und etwas Bestimmtes erwartet, umso schwieriger wird es", berichtet Grodhues. "Nachtod-Begegnungen dürfen passieren, sie haben eine besondere Qualität und sind eine Art Geschenk, wenn im Therapie-Prozess bereits vieles durchgearbeitet wurde."

Bei Grodhues selbst lief das ganz anders. 1985, während eines Seminars in Heidelberg, wurde sie völlig unvorbereitet mit dem Bild ihres 1943 im Zweiten Weltkrieg in Russland gefallenen Onkels konfrontiert, den sie nur von Fotografien kannte. "Es war weder Trance noch Traum, sondern ein Moment außerhalb jedes üblichen Zeitempfindens. Ich erkannte plötzlich verschüttete Zusammenhänge in unserer Familiengeschichte." Aufgeregt und perplex sei sie gewesen. Ihre damalige Psychotherapeutin hätte sich schwer getan damit und lediglich gesagt: "Das war eine sehr intensive Fantasie." Ähnliches hört Grodhues wohl heute noch von Kollegen. Kopfschütteln und Auf-Distanz-Gehen begleiten ihre Arbeit. Sie ist die einzige Psychotherapeutin in Deutschland, die die Lizenz zur Fortbildung in IADC hat. Rund 20 Ärzte, Kinder- und Jugendpsychologen, Heilpraktiker und Psychotherapeuten hat sie bereits angeleitet, etliche davon hatten Nachtod-Begegnungen. Doch öffentlich will sich kaum jemand zu IADC-Erfahrungen äußern. Therapeuten müssen neutral bleiben, Persönliches wird nicht preisgegeben. Immerhin lässt sich eine Saarbrücker Kinder- und Jugendtherapeutin wie folgt zitieren: "Ich halte IADC für eine wertvolle Ergänzung, tiefe Trauerprozesse in eine konstruktive Richtung zu lenken." Und eine zweite Saarbrücker Psychotherapeutin lobt IADC ausdrücklich als besonders wirksame Methode: "Trauerarbeit ist immer noch ein Stiefkind in der Ausbildung. Man kommt mit IADC viel dichter ran als mit kognitiven Methoden. Es ist immer die Crux in unserem Fach, dass solcherart Dinge aus der Praxis entwickelt werden, aber dann viel zu lange brauchen, bis sie anerkannt werden." Grodhues hat Verständnis für die allgemeine Vorsicht: "Es ist heikel, sich zu dieser noch jungen Methode zu bekennen." Insbesondere für Psychologen mit Kassenzulassung, denn IADC wird von den Kassen nicht bezahlt.

Trotzdem äußert sich der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Gunter Hauptmann, durchaus anerkennend. Solcherart Methoden könnten - eingebettet in ein Gesamtkonzept - die Schulmedizin bereichern, meint er. Sie sollten jedoch nur von sehr erfahrenen Leuten ausgeübt werden. Entscheidend sei doch der Heilerfolg. Für andere Psychologen und Mediziner, die IADC nur vom Namen kennen, klingt das alles zu "esoterisch", "halbseiden" oder "ideologieanfällig". Mag sein, Grodhues selbst trägt dazu bei, wenn sie den Rahmen ihres Faches durch Bücher sprengt, die sie zusammen mit einer bildenden Künstlerin veröffentlicht, die sehr enthusiastisch über ihre Nachtod-Begegnung mit ihrem Kind schreibt: "Wie eine Welle vom anderen Ufer". Und auch ihre behaglichen Praxisräume in Saarbrücken- St. Arnual dürften manchen Puristen irritieren: roter Teppich, viel Deko-Artikel, und auch noch ein Rosenquarz-Stein. Stimmungen, Schwingungen?

Dafür scheint Grodhues dann doch zu handfest - und zu verantwortungsbewusst. Die Konfrontation mit dem eigenen Versagen brachte sie zu EMDR und IADC. Als sie einem Mann, der einen Autounfall hatte, nicht helfen konnte, suchte sie nach anderen als den herkömmlichen Wegen. Und wandert in Deutschland noch recht allein. Wie lange noch? "Solcherart Methoden können - eingebettet in ein Gesamt-

Konzept - die Schulmedizin bereichern."

Gunter Hauptmann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland

Auf einen Blick

Die Methode EMDR (Eye Movement Desensitization ans Reprocessing) ist eine von der US-Therapeutin Dr. Francine Shapiro entwickeltes, gut erforschtes, anerkanntes Trauma-Behandlungsverfahren. Es basiert auf schnellen Augenbewegungen, die der Therapeut durch Links-Rechts-Befehle in Gang setzt. Man nimmt an, dass dadurch Gedächtnisinhalte umstrukturiert werden.

IADC (Induced After Death Communication/Eingeleitete Nachtod-Kommunikation) benutzt EMDR zur Trauertherapie. Der US-amerikanische Trauma-Therapeut Dr. Allan Botkin hat IADC Mitte der 1990er Jahre bei seiner Arbeit mit Kriegsveteranen entdeckt. Sie berichteten von Kontakten/Begegnungen mit Verstorbenen, die ihre Trauer nachhaltig lösten.

Die Diplompsychologin Juliane Grodhues hat lange für das Rote Kreuz gearbeitet und Erfahrungen mit traumatisierten Kriegs- und Folter-Opfern gesammelt. Im Jahr 2006 ließ sie sich bei Allan Botkin in den USA in IADC fortbilden. Seit 2009 kann sie selbst in dieser Methode ausbilden. 2011 gründete sie in Saarbrücken das erste Allan-Botkin-Institut in Deutschland. ce

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