Ägyptens „Geschenk an die Welt“

Kairo · Der in nur einem Jahr vollendete Monumentalbau des zweiten Suezkanals soll den angeschlagenen Nationalstolz Ägyptens stärken – und den Wirtschaftsaufschwung vorantreiben. Doch es gibt Kritiker.

Mit einem Paukenschlag soll heute das "neue Ägypten" geboren werden. Riesige Feuerwerke, eine Marine- und Flugshow werden nach den Plänen der staatlichen Veranstalter den Höhepunkt eines Freudenfestes zur Eröffnung des neuen, des zweiten Suez Kanals bilden. Hunderte Würdenträger aus der ganzen Welt, darunter auch der russische und der französische Präsident werden den Klängen der Oper Aida lauschen, die Verdi zur Eröffnung des ersten Kanals vor 146 Jahren schreiben sollte, doch nicht fertigstellen konnte. Die Eröffnung krönt eine eindrucksvolle bautechnische Leistung. Auf Auftrag Präsident Abdel Fattah al-Sisis wurde der Kanal in einem Jahr - einem Drittel der ursprünglich geplanten Bauzeit - fertiggestellt. Dafür holten die verantwortlichen Firmen technische Geräte aus der ganzen Welt und setzten insgesamt mehr als 1800 Arbeitskräfte ein. Riesige Bagger verschoben an die 200 Millionen Kubikmeter Sand, das entspricht etwa der 80-fachen Größe der Pyramiden von Gizeh .

Von alters her hatte Ägypten durch Monumentalbauten seine Macht zu zementieren gesucht. Das heutige Ägypten konnte so nach den Worten Abdel Aziz, eines Mitgliedes der Planungsgruppe, der Welt seine Fähigkeit beweisen, "Wunder zu vollbringen". Und der neue Kanal, so betont Sisi, "ist Ägyptens Geschenk an die Welt". Die Euphorie ist groß. Vom "großen ägyptischen Traum" ist die Rede, der nun verwirklicht worden sei, und von der "Wiedergeburt Ägyptens"nach drei der schwierigsten Jahre in der Geschichte. "Nun bauen wir ein neues Ägypten", schwelgt der Chef der Suez-Kanal-Behörde, Mohab Mamisch.

Der Suez-Kanal ist seit seiner Verstaatlichung durch Präsident Nasser 1956 bis heute Symbol nationalen Stolzes. So hofft Sisi, durch den zweiten Kanal das Vertrauen in den Staat und seinen Präsidenten nach den Jahren blutiger Turbulenzen zu wecken und zu stärken. Der Anfang ist bereits geglückt. Innerhalb von einer Woche hatte die Bevölkerung die ihnen gebotenen Investmentzertifikate aufgekauft. Mit ihren Geldern und privaten Spenden wurde das 8,5 Milliarden Dollar teure Projekt ausschließlich von Ägyptern finanziert. Der Hauptkanal, bei dessen zehnjährigem Bau Tausende ägyptische Arbeiter ums Leben gekommen waren, erspart Handelsschiffen auf der Route zwischen Mumbai und London die Umschiffung Afrikas und halbiert damit die Reisezeit. Sieben Prozent des globalen Seehandels verlaufen derzeit durch den Kanal. Doch dieser war bisher nur einspurig passierbar. Bis zu elf Stunden lange Wartezeiten waren für Frachter die Regel. Der zweite, parallel laufende 36 Kilometer lange, 24 Meter tiefe und 400 Meter breite Kanal wird nun laut Suez-Behörde die Durchfahrtzeiten von etwa 20 auf elf Stunden reduzieren. 97 statt wie bisher 49 Ozeanriesen können den Kanal täglich passieren. Doch es fehlt nicht an Skeptikern, die Prognosen der Regierung von einer Verdreifachung der für die Staatskasse äußerst wichtigen Einkünfte für unrealistisch halten. Eine wesentliche Erhöhung des Handelsvolumens und damit der Schifffahrt wäre nach Ansicht so mancher Experten in den kommenden Jahren angesichts des geringen Wachstums in Europa unwahrscheinlich. Sisi, so meinen Kritiker , hätte sich lieber voll auf die industrielle Entwicklung der Region entlang des Suezkanals konzentrieren sollen. Dabei soll in den nächsten 25 Jahren eine Million Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Projekt soll am Morgen nach der Eröffnungsfeier begonnen werden.

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