Partys in Pariser Unterwelt

Paris. "Bleib stehen! Hier ist das Reich des Todes." Der Willkommensgruß nach 130 Treppenstufen, die es hinunter in 20 Meter Tiefe ging, flößt Ehrfurcht ein. Die Luft ist kühl und abgestanden und das Licht schummrig. Plötzlich hört man jeden Schritt, sein dumpfes Nachhallen; 130 Treppenstufen, und der Trubel der französischen Metropole scheint weit weg zu sein

 Millionen menschliche Skelette liegen in den Pariser Katakomben. Foto: Musée Carnavalet/Ch.Fouin

Millionen menschliche Skelette liegen in den Pariser Katakomben. Foto: Musée Carnavalet/Ch.Fouin

 Ein steinernes Modell der Stadt Port-Mahon aus der Zeit Ludwigs XVI. Foto: Musée Carnavalet/Ch.Fouin

Ein steinernes Modell der Stadt Port-Mahon aus der Zeit Ludwigs XVI. Foto: Musée Carnavalet/Ch.Fouin

Paris. "Bleib stehen! Hier ist das Reich des Todes." Der Willkommensgruß nach 130 Treppenstufen, die es hinunter in 20 Meter Tiefe ging, flößt Ehrfurcht ein. Die Luft ist kühl und abgestanden und das Licht schummrig. Plötzlich hört man jeden Schritt, sein dumpfes Nachhallen; 130 Treppenstufen, und der Trubel der französischen Metropole scheint weit weg zu sein. In einer anderen Welt - der oberirdischen. In einer anderen Zeit, der Zeit der Lebenden. Hier in den Katakomben von Paris aber herrschen die Toten: Die Gebeine von sechs bis sieben Millionen Menschen lagern in diesem unterirdischen Beinhaus. Kunstvoll und ordentlich sind ihre Knochen und Schädel entlang der schmalen Gänge aufgereiht, dahinter liegen die Gebeine kreuz und quer, bis zu 30 Meter tief. Inschriften schmücken die Wände und erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens - ein schauriges Spektakel, das jedes Jahr Hunderttausende Besucher anzieht, sagt die Kunsthistorikerin Trâm Journet, die durch den knapp zwei Kilometer langen öffentlichen Bereich führt. "Vor allem im Sommer ist das Interesse riesig", sagt Trâm. Dann bildet sich eine lange Schlange am Eingang, denn mehr als 200 Menschen auf einmal werden nicht eingelassen. Als Publikumsmagnet dienen die alten Steinbrüche bereits seit 1810, als ein Teil für Neugierige geöffnet wurde; da es bis 1970 keine Elektrizität gab, sorgten Kerzen und später Öllampen zusätzlich für eine schaurige Atmosphäre. Eigentlich sind die Labyrinth-ähnlichen Gänge vor allem auf dem linken Seine-Ufer insgesamt rund 300 Kilometer lang, ein riesiges Stollennetz aus finsteren Galerien und verschlungenen Wegen. Algen und Schimmelpilze ziehen sich über die schmierigen Wände; die Luftfeuchtigkeit liegt bei 70 Prozent. Das unterirdische Paris wird gerne mit einem Emmentaler verglichen: feste Masse mit großen Löchern. Viele Straßenzüge verlaufen parallel zu denen oberhalb der Erde. In den unzugänglichen Bereichen liegen die Kanalisation, U-Bahn-Schächte und die Versorgungsleitungen. Anfang des letzten Jahrhunderts nutzten sie Winzer als Weinkeller und Anwohner zum Anbau von Pilzen - das gab den "Champignons von Paris" ihren Namen. Im Zweiten Weltkrieg dienten die Katakomben Widerstandskämpfern als Versteck. Ihr Ursprung fällt mit dem der Stadt Paris zusammen: Zu deren Aufbau wurde der für das Stadtbild so typische Kalkstein aus dem Untergrund hervorgeholt, zunächst in offenen Steinbrüchen, ab dem 13. Jahrhundert erfolgte der Abbau nur noch unter Tage. Die fortschreitende Unterhöhlung der Stadt führte aber nicht nur zu Sorgen der Bevölkerung, sondern auch zu tödlichen Unfällen - 1777 fiel ein Arbeiter 17 Meter tief, ein anderer sogar 27. Da zugleich die völlig überfüllten Friedhöfe der Stadt zu einem hygienischen Problem wurden, verlegte man bis Mitte des 19. Jahrhunderts Millionen Skelette unter die Erde. Auch einige berühmte Pariser Bürger liegen hier, etwa die Revolutionäre Danton und Robespierre. "Viele Leute wollen wissen, wo sie genau sind", erzählt Führerin Trâm: "Aber das ist unmöglich zu sagen: Sehen Sie sich doch diese Berge an Knochen an!" In ihren unsterblichen Überresten sind alle Menschen gleich. Und sie faszinieren - wobei es manche Besucher nicht beim Ansehen belassen. Am Ausgang muss jeder seine Tasche öffnen. Fast jeden Tag werden Knochen-Diebe erwischt.. "Manche Menschen verhalten sich hier sehr, sehr merkwürdig", sagt Trâm. Sie spielt damit auch an auf die sogenannten "Kataphilen", die nachts einsteigen, um Geheimpartys im Pariser Untergrund zu feiern, illegale Konzerte und Filmvorführungen in morbider Umgebung zu geben und die manchmal auch vandalieren. Weder von Geldstrafen, noch von Polizisten lassen sie sich abhalten und wohl auch nicht von dem Grusel-Erlebnis dreier junger Leute, die sich nach einem Trinkgelage in den düsteren Gängen verirrt haben: Nach zwei Tagen fanden Rettungskräfte sie erschöpft in einem abgelegenen Stollen. Zumindest sie haben wohl Ehrfurcht vor dem "Reich des Todes".

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