Missbrauchsskandal Lügde Die Peiniger gestehen ihr grausames Werk

Detmold · Im Fall Lügde geht es um hundertfachen Kindesmissbrauch über 20 Jahre hinweg. Zum Prozessauftakt gibt es drei Geständnisse.

 Drei Männer sitzen in Detmold auf der Anklagebank. Andreas V. und Mario S. sollen auf dem Campingplatz in Lügde über Jahre hundertfach Kinder missbraucht haben, Heiko V. soll per Webcam zugesehen haben.

Drei Männer sitzen in Detmold auf der Anklagebank. Andreas V. und Mario S. sollen auf dem Campingplatz in Lügde über Jahre hundertfach Kinder missbraucht haben, Heiko V. soll per Webcam zugesehen haben.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Unbeteiligt wirken sie, irgendwie teilnahmslos, die drei Angeklagten. Zwei halten sich Aktendeckel vors Gesicht, als sie am Donnerstagmorgen den Gerichtssaal unter Blitzlichtgewitter betreten. Was ihnen vorgeworfen wird, ist erschütternd: Hundertfach sollen Kinder und Jugendliche grausam und skrupellos sexuell missbraucht und vergewaltigt worden sein – über 20 Jahre hinweg.

34 Jungen und Mädchen wurden laut Anklage Opfer, vor allem auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde bei Detmold. Seit Monaten herrscht da­rüber bundesweit Entsetzen, die Ausmaße sind unvorstellbar. Nun stehen die mutmaßlichen Peiniger der teilweise erst vier oder fünf Jahre jungen Opfer vor Gericht.

Was zum Auftakt des Detmolder Prozesses noch niemand ahnt – dass vier Stunden später die beiden Hauptangeklagten Andreas V. (56) und Mario S. (34) umfassend gestehen würden. Wenig später folgt auch Heiko V. (49), der nicht selbst Gewalt ausgeübt haben, aber per Webcam bei den Misshandlungen zugesehen und teils dazu angestiftet haben soll.

Regungslos sitzen sie auf der Anklagebank. Nur Mario S. sagt auf Fragen der Vorsitzenden Richterin Anke Grudda: „Ich schäme mich.“ Fehlanzeige dagegen bei Andreas V. Klar ist dennoch: Für die Opfer ist dieser Donnerstag ein guter erster Verhandlungstag – die Chancen, dass sie als Zeugen nicht noch einmal die erlittenen Quälereien beschreiben müssen, sind nun hoch.

„Zweifelsohne abscheulich“ und „erschreckend“ seien die vorgeworfenen Taten, sagt Richterin Grudda am Anfang. Für die Opfer wäre es eine extreme Belastung, sie anzuhören, betont sie. Diesen Freitag sollen misshandelte Kinder daher zwar befragt werden, aber nicht zu den Taten. Man will sich ein Bild machen, wie es ihnen heute geht.

Und das möglichst behutsam. Denn einige Opfer waren noch im Kita-Alter, als die Torturen in zwei Unterkünften auf dem Campingplatz an der Grenze zu Niedersachsen oder in der Wohnung von Mario S. laut Anklage begannen.

Um die Opfer zu schützen, müssen dann auch alle Zuhörer und Medienvertreter – jeder Stuhl in dem beengten Raum ist besetzt – raus, bevor die zwei Anklageschriften verlesen werden. Als Nebenkläger sind 28 Opfer zugelassen. Sie werden von 18 Anwälten vertreten.

Fast anderthalb Stunden lang werden drinnen die Gräuel vorgetragen, die die Staatsanwaltschaft auf rund 100 Seiten zusammengefasst hat. Wer nach der Verlesung aus Saal 165 kommt, wirkt geprügelt. Opferanwalt Roman von Alvensleben schildert, es sei auch für die Verfahrensbeteiligten, die sich mit den meisten Details bereits vertraut machen mussten, „nicht ganz leichtes Brot“ gewesen. Er ist erleichtert über die Geständnisse, das mache es für die Kinder leichter.

Der Fall Lügde ist aus mehreren Gründen von schockierender Dimension: die extrem hohe Zahl von Geschädigten und Vergehen; die Tatsache, dass der jahrelange Missbrauch sich auf einem öffentlich zugänglichen Campingplatz ereignet haben soll und trotzdem quälend lange unentdeckt blieb; Gegenstand weiterer Ermittlungen ist zudem die Frage nach dem Versagen von Behörden – also warum trotz früher Hinweise auf Andreas V. lange nichts passierte.

Im Einzelnen angeklagt sind im Fall Andreas V. Missbrauchstaten im Sommer 1998 und von 2008 bis 2018. Opfer seiner fast 300 mutmaßlichen Taten sollen 23 Mädchen gewesen sein. Auch ein zu Beginn erst fünfjähriges Kind, das als Pflegetochter bei ihm einzog und als Lockvogel diente, um an weitere Opfer zu gelangen. Bei zehn Mädchen wirft die Staatsanwaltschaft V. mehrfachen „Beischlaf“ und Vergewaltigung vor. Mario S. soll acht Mädchen und neun Jungen missbraucht haben. Von 1999 bis 2019 werden ihm rund 160 Taten zur Last gelegt. Beiden Männern drohen langjährige Haftstrafen, Opferanwälte fordern bereits Sicherungsverwahrung. Die drei Deutschen sitzen in U-Haft. Angesichts der Zeugenaussagen und des Bild- und Videomaterials gilt die Beweislage gegen die Angeklagten als erdrückend.

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