Skrupellose Gewalt gegen Kinder Hoffen auf Geständnisse im Fall Lügde

Detmold/Düsseldorf · Zehn Jahre sollen Kinder auf einem Campingplatz missbraucht worden sein. Nun beginnt der Prozess gegen drei Männer am Landgericht Detmold.

 Schauplatz der Grausamkeiten: Mehrere Plüschtiere liegen in dem Wohnwagen vor der zum Teil bereits abgerissenen Parzelle des mutmaßlichen Täters Andreas V. auf dem Campingplatz „Eichwald“.

Schauplatz der Grausamkeiten: Mehrere Plüschtiere liegen in dem Wohnwagen vor der zum Teil bereits abgerissenen Parzelle des mutmaßlichen Täters Andreas V. auf dem Campingplatz „Eichwald“.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Es geht um barbarische, grausame und menschenverachtende Taten: Der Strafprozess vor dem Detmolder Landgericht nach dem jahrelangen sexuellen Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde wird brutale Gewalt gegen Mädchen und Jungen zutage fördern. In erschütterndem Ausmaß. Drei Männer – allesamt seit Monaten in Untersuchungshaft – werden heute auf der Anklagebank sitzen.

Dem heute 56-jährigen Dauercamper Andreas V. werden 298 Straftaten vorgeworfen. 23 Mädchen sollen Opfer seiner Quälereien im Sommer 1998 und von Anfang 2008 bis Ende 2018 geworden sein. Bei zehn Kindern wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, mehrfach „Beischlaf“ vorgenommen zu haben und Handlungen, die „mit einem Eindringen in den Körper verbunden gewesen sein sollen“. Das sei dem Grunde nach Vergewaltigung, sagt Rainer Becker, Vorsitzender der Deutschen Kinderhilfe. „Was juristisch korrekt als „schwerer sexueller Missbrauch von Kindern“ bezeichnet wird, ist sprachlich bagatellisierend.“

Der 34-jährige Mario S. soll der Staatsanwaltschaft zufolge in 162 Fällen acht Mädchen und neun Jungen missbraucht haben, manche schwer. Über einen Zeitraum von 20 Jahren – 1999 bis Anfang 2019. Auch er soll vergewaltigt haben. Dem Vorwurf zufolge filmten beide Männer manche Gewalttaten. Zu den Übergriffen soll es auf der Campingplatz-Parzelle von Andreas V. im nordrhein-westfälischen Lügde gekommen sein, aber auch in der Wohnung von Mario S. in Steinheim bei Höxter. Der dritte Angeklagte, der 49-jährige Heiko V. aus dem niedersächsischen Stade, soll teilweise zu den Taten angestiftet haben.

Der Bielefelder Opferanwalt Peter Wüller hofft, dass die Kinder nicht vor Gericht aussagen müssen. „Kein einziges Opfer sollte erscheinen müssen.“ Sollte das im Ausnahmefall unumgänglich sein, solle das Kind von einem Psychologen vorbereitet und begleitet werden. Wüller vertritt zwei Opfer: ein heute sechsjähriges Mädchen und einen neunjährigen Jungen.

Der Opferanwalt wird die Verhandlungen als Nebenkläger-Vertreter verfolgen. Das Gericht hat insgesamt 28 Nebenkläger zugelassen, die von 18 Anwälten vertreten werden. 53 Zeugen hat das Landgericht geladen. Wüller sagt, es gebe zahlreiche Aussagen von Opfern und umfangreiches Bild- und Videomaterial, das die vorgeworfenen Gewalttaten dokumentiere. Er hoffe, dass mindestens für die beiden Hauptangeklagten nach einer Haftstrafe Sicherungsverwahrung angeordnet werde. Was Wüller umtreibt: Er könne nicht nachvollziehen, dass so lange niemand etwas bemerkt haben soll.

Im Fall Lügde gab es aber erste Hinweise. Polizei und Jugendämter stehen in der Kritik, weil sie Hinweisen auf den Hauptverdächtigen nicht nachgegangen sein sollen. Auch bei den Ermittlungen gab es Pannen, unter anderem verschwanden Beweismittel. Einen Tag vor Prozessbeginn hat der nordhein-westfälische Landtag nun einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der alle offenen Fragen klären soll. Der Ausschuss befasst sich mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft, den Jugendämtern sowie mit dem Umgang der Landesregierung mit dem Fall.

Besonderes Leid soll der Pflegetochter von Andreas V. zugefügt worden sein. Sie war fünf, als sie im Frühjahr 2016 für rund zweieinhalb Jahre in die Campingunterkunft in Lügde einzog. In dieser Zeit wurde sie laut Verdacht sexuell misshandelt, weit mehr als hundert Mal. Der Landkreis Hameln hatte den Dauercamper als Pflegevater eingesetzt, wohl auf Wunsch der leiblichen Mutter. Das Mädchen musste als Lockvogel herhalten, andere Kinder mitbringen. Es gab Ausflüge, Geschenke – und Drohungen, ja nichts zu verraten.

Opferanwalt Roman von Alvensleben hofft genau wie Wüller auf Geständnisse. Er vertritt eine heute Zehnjährige, die 2018 Opfer sexueller Gewalt worden war. Mit Blick auf den 56-Jährigen sagt der Anwalt: „Wir wollen, dass der nicht mehr aus dem Gefängnis herauskommt.“

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