Putin bremst Ukraine auf dem Weg zur EU

Kiew/Moskau · Der Poker zwischen der EU und der Ukraine um die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko wird zum reinsten Nervenkrieg. Die EU fordert seit Langem mit Nachdruck, dass die wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilte 52-Jährige endlich freikommt.

Das ist bisher die Bedingung, damit der Westen Ende November mit der Ex-Sowjetrepublik ein Abkommen über engere Zusammenarbeit und freien Handel unterzeichnet. Doch die Ukraine zögert.

Nicht nur einmal signalisierte der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch Bereitschaft, seine Erzfeindin freizulassen - um der europäischen Integration seines Landes willen. Doch zum Ärger der EU zaudert Janukowitsch nun doch. Er findet sich inzwischen immer häufiger bei Kremlchef Wladimir Putin ein. Der Russe drohte dem Ukrainer deutlich mit schweren wirtschaftlichen Folgen, sollte der Bruderstaat nicht die Finger vom Kurs Richtung EU lassen. Die ukrainischen Unternehmen spüren bereits erste Einbußen - etwa durch einen russischen Importstopp für Stahlröhren oder Schokolade. Der Tag der Entscheidung im Tauziehen zwischen Russland und dem Westen um die Ukraine mit ihren mehr als 45 Millionen Menschen rückt immer näher. Unterzeichnet werden soll das Assoziierungsabkommen auf dem Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in der litauischen Hauptstadt Vilnius Ende November. Aus EU-Kreisen ist zu hören, dass alles schon viel zu weit gediehen sei. Es gebe im Grunde kein Zurück, wenn EU und Ukraine nicht eine historische Blamage erleiden wollten. Bleibt allerdings die Frage, ob die EU auch ohne eine Freilassung der seit zwei Jahren und drei Monaten inhaftierten Timoschenko das Abkommen unterzeichnet. Besonders Deutschland hatte stets verlangt, dass die an einem Bandscheibenvorfall leidende Politikerin freigelassen werden solle - für eine Behandlung in Berlin.

Allerdings rief Timoschenko zuletzt selbst in einem Brief dazu auf, das Abkommen zu unterschreiben - ohne auf ihre Lage Rücksicht zu nehmen. Ihre Vaterlandspartei sieht in der Anbindung an Europa die Chance, das von Korruption, Bürokratie und Vetternwirtschaft geprägte Land endlich zu erneuern. Doch Janukowitsch scheint hin- und hergerissen. Kremlchef Putin, der die Ukraine in eine Zollunion mit autoritären Staaten wie Weißrussland und Kasachstan locken will, hat damit gedroht, dem Land alle bisherigen Handelsvorteile zu streichen.

Der Vizeregierungschef Russlands, Dmitri Rogosin, warf der EU diese Woche in Brüssel vor, mit dem Abkommen "traditionelle Industrie- und Handelsbeziehungen" zu zerstören - etwa auch bei der Zusammenarbeit in der Luft- und Raumfahrt. Unabhängige Experten sehen indes die Gefahr, dass die Erwartungen der Ukraine auf Zugang zum westeuropäischen Markt für ihre nicht konkurrenzfähigen Waren enttäuscht werden könnten. Russland und Europa spielten hier ein "Nullsummenspiel", in dem es nur um geopolitischen Einfluss gehe, meinte der Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft an der Moskauer Wirtschaftshochschule. Verlierer aber sei am Ende wohl das ukrainische Volk.

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