Interview mit Autor Guy Helminger „Soziale Netzwerke sind das Asozialste“

Saarbrücken · Der Luxemburger Schriftsteller Guy Helminger über sein Stück „Jockey“, Kennenlernportale und den Stammtisch namens Facebook.

 „Unter Leuten“ – eines von Guy Helmingers Selbstporträts, die er regelmäßig aufnimmt.

„Unter Leuten“ – eines von Guy Helmingers Selbstporträts, die er regelmäßig aufnimmt.

Foto: Guy Helminger

TV-Werbung und Plakate machen uns Hoffnung: Durch Partnerschaftsportale im Internet ist das große Liebesglück greifbar – kaum registriert, schon verliebt. Der Luxemburger Guy Helminger (56),  der für seine Romane, Hörspiele und Gedichte mehrfach ausgezeichnet wurde, hat ein Stück zum Thema geschrieben: „Jockey“, als Buch erschienen und im Oktober in Esch und Niederanven zu sehen, erzählt von Glückssuchern, Wünschen und Hormonen im digitalen Zeitalter. Wir haben mit ihm über das Stück und seine Recherchen gesprochen.

Ganz simpel gefragt – können Sie Kontaktplattformen wie Tinder oder Parship empfehlen?

HELMINGER Ich würde sie weder völlig ablehnen noch völlig befürworten. Sie sind manchmal vielleicht hilfreich, bringen aber viel Negatives mit sich: Datenmissbrauch etwa und Missverständnisse, wenn die einen nur nach Sex suchen und die anderen vielleicht nach etwas ganz anderem.

Aber ist es nicht eine praktische Methode des Kennenlernens, ohne übliche Flirt- und Balzrituale?

HELMINGER Mich stört, dass die alten Gepflogenheiten des sich Begegnens ausgeschaltet sind. Sich kennenlernen ist oft gekoppelt an ein Ereignis – eine Demo etwa, wo man über Politik redet und so eine Beziehung beginnt. Oder in der Kneipe oder beim Konzert. Es geht auch verloren, dass man jemanden kennenlernt, ohne bereits an eine Beziehung zu denken, ohne Ziel. Die Plattformen sind ganz klar zielorientiert und damit geradezu bildhaft für unsere heutige ökonomische Situation. Immerhin erspart man sich die klassischen Abfuhren wie in der Disko – wenn jemandem auf einer Plattform dein Gesicht nicht gefällt, wird er oder sie eben nicht reagieren.

In Ihrem Stück heißt es: „Algorythmen stehen für Fadheit.“ Wie ist das gemeint?

HELMINGER  Ich füttere bei der Partnersuche den PC mit bestimmten Daten – zum Beispiel: Ich wohne in Saarbrücken, interessiere mich für Literatur und züchte Schnecken. Genau das sucht der PC dann bei anderen. Also wird sofort jeder ausgeschlossen, der weiter weg wohnt, den Literatur langweilt und das Schneckenzüchten auch. So wird das sprichwörtliche Phänomen der Gegensätze ausgeschlossen, die sich anziehen.

 Helminger bei Rodange.

Helminger bei Rodange.

Foto: Guy Helminger

Es stellt sich da die alte Frage nach der Liebe. Liebt man einen anderen Menschen um dessentwillen – oder einfach, weil er einem im Leben am ehesten das bietet, was einem gefällt, und weil er den Bedürfnissen, die man hat, entgegenkommt? So gesehen wären Plattformen ja eine vielleicht unromantische, aber effektive und ehrliche Methode.

HELMINGER Es gibt sicher Leute, bei denen das so ist, aber verallgemeinern würde ich das keinesfalls. Selbstliebe spielt natürlich mit hinein. Dennoch ist es bei Liebe wie bei Sexualität so, dass, je mehr man die Lust des Partners steigert, auch die eigene steigert. Wenn eine Liebe fürs Leben halten soll, muss man wegkommen von Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung. Der Unterschied zwischen sich Verlieben und Lieben ist riesig. Ins sich Verlieben rutscht man hinein, das ist ein großes Gefühl – das kann durchaus auch beim ersten Date über Plattform passieren. Aber danach bleibt Liebe Arbeit – die besteht aus Kompromissen, aus Akzeptanz von Dingen am anderen, die man selber nicht immer gut findet.

Im Stück sagt eine Figur: „Man schaut sich im Internet die Story eines Menschen an und schon kennt man ihn.“ Da irrt sie, oder?

HELMINGER Natürlich. Viele Leute benutzen auf den Plattformen Fotos von anderen oder sehr schmeichelhafte von sich selbst. Da entsteht eine virtuelle Identität, die beim ersten Date mit der Realität abgeglichen wird. Je stärker die auseinanderklaffen, desto größer ist die Gefahr des sofortigen Scheiterns.

 Helminger in Belval.

Helminger in Belval.

Foto: Guy Helminger

Haben Sie sich für die Recherche an „Jockey“ bei einem Portal registriert?

HELMINGER Nein, aber registrierte Freunde haben mir erlaubt, reinzuschauen. Ich hatte vorher keine Ahnung. Das Stück war ja eine Auftragsarbeit des Kasemattentheaters – bei dem Thema ist mir erstmal nicht viel eingefallen. Dann habe ich reingeschaut, recherchiert, Artikel gelesen – das war das Grundmaterial.

Sie haben Zitate von der Seite „TinderWahnsinn“ genommen. Was ist das?

HELMINGER Eine Webseite, auf der die merkwürdigsten Sätze oder Anmachsprüche auf den Plattformen gesammelt werden – wie wahrheitsgetreu das ist, kann ich nicht sagen. Da ist herrlich Groteskes dabei. „Kebap-Uschi aus Pirmasens“ etwa, die nicht ganz fehlerfrei schreibt: „Wenn Du coole Frau suchst, die Haushalt kann und Hurre im Bett bin ist das richtig.“

Bekommt man da nicht das Gefühl, dass wir langsam verblöden? Zumal die Beschäftigung mit dem Internet, vor allem mit Facebook, mit der Häme und dem Hass dort, nicht eben ein positives Menschenbild fördert.

HELMINGER Das größte Problem dort ist die Anonymität. Dass Leute, wenn sie ihr Gesicht nicht zeigen müssen, Dinge sagen, die sie von Angesicht zu Angesicht nicht sagen würden. Bei Anbahnungsplattformen sind die Anmachsprüche teilweise von einer Blödheit, dass man nur hoffen kann, dass sich niemand traut, die wirklich auszusprechen. Wer sich das doch traut, der gehört in die Psychiatrie. Auf der anderen Seite hat man natürlich bei Facebook dieses Wachstum an ungefragter Meinung. Jetzt äußern sich alle, was sie ja vorher angeblich nie durften. Das Problem ist: Hätten diese Leute sich früher in der Öffentlichkeit so geäußert, hätten sie schnell gemerkt, wie sie sich blamieren und nackt dastehen mit ihrem Gequassel. In der Anonymität können sie sich nun äußern bis zum Geht nicht mehr und kriegen von den anderen, die sich genauso blöd benehmen, lauten Beifall. Armseliger geht es nicht. Diese sozialen Netzwerke sind für mich das Asozialste, was es gibt, wenn es etwa um Politik geht. Das ist absolut grotesk, deshalb beteilige ich mich auch an keinerlei Diskussionen dort. In der Öffentlichkeit gerne, dort nicht.

 "Jockey" von Guy Helminger

"Jockey" von Guy Helminger

Foto: Capybarabooks

Heißt das dann nicht, dass es böse Folgen hat, wenn sich jeder äußern darf, wenn ein Medium sozusagen demokratisiert wird?

HELMINGER Ich weiß nicht, ob man das Demokratisierung nennen sollte, denn es bringt ja nicht mehr an Demokratie. Diese Leute konnten vorher ja auch öffentlich ihre Meinung sagen, aber sie tun es erst jetzt, weil sie anonym sein können. Das hat für mich nichts mit Demokratie zu tun – im Gegenteil. Es hat mit sich Verstecken zu tun, mit Unehrlichkeit. Diese Leute hätten früher ja zu Diskussionrunden kommen können, aber das Interesse war ja gar nicht da. Das ist Stammtisch, mehr nicht. Die meisten wollen gar keine Diskussion, die wollen einfach nur brüllen.

Autoren oder Journalisten über 50, die sich über digitalen Irrsinn äußern, wirken oft etwas schulmeisterlich und altbacken. Hatten Sie davor Angst beim Schreiben von „Jockey“?

HELMINGER  Selbstverständlich. Ich habe deshalb auch mit sehr jungen Leuten gesprochen, denn bei den Plattformen wird es über 30 schon dünner. Das meiste spielt sich ab zwischen 18 und 30. Und mein Sohn sagte mir, Facebook wäre mittlerweile für Greise.

Sie nutzen es?

HELMINGER Ja, ich kriege da viel mehr mit, was meine Autorenkollegen so veröffentlichen. Das ist vorher ziemlich an mir vorbeigegegangen. Aber Leute mit merkwürdigen Posts oder Profilen abonniere ich nicht.

Zurück zu Ihrem Stück – gibt man nicht das eigene Werk aus der Hand, sobald es jemand anders inszeniert?

HELMINGER Nein, eigentlich schreibe ich Stücke und Hörspiele, damit andere etwas draus machen. Die Inszenierung von „Jockey“ im Kasemattentheater finde ich hoch interessant, weil Regisseur Calle Fuhr das ganz bewusst analog anlegt – er hat auf Bildschirme und Projektionen verzichtet, auch wenn ich sie im Stück erwähne. Große Lichtflächen mit Schatten verkörperten da sozusagen die virtuellen Identitäten. Das fand ich sehr interessant und hätte es selbst nie so gemacht. Das ist das Schöne dran.

Guy Helminger: Jockey. Capybarabooks, 106 Seiten, 12 Euro. Das Stück läuft wieder am 22. und 23. Oktober im Escher Theater, am 29. und 30. November im Kulturhaus Niederanven.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort