Neu im Kino „Er interpretierte die Dinge neu“

Saarbrücken · Eine sehenswerte Doku startet morgen in Saarbrücken: „Alexander McQueen“ über den britischen Modedesigner.

 Gute Zeiten: Alexander McQueen bei einer Modenschau.

Gute Zeiten: Alexander McQueen bei einer Modenschau.

Foto: Thimfilm

In ruckeligen Bewegungen streift die Videokamera Aquarium, Fernseher und Hund, bis sie einen robusten Mann mit einem leicht groben, aber auch empfindsamen Gesicht in den Blick nimmt. Modedesigner Alexander McQueen raucht und denkt laut über eine neue Frisur nach – dabei hat er nur einen hellen Flaum auf dem Kopf.

Diese frühen Home-Video-Aufnahmen von McQueens ehemaligem Assistenten Sebastian Pons haben Eingang gefunden in die „originale“, also mit Beteiligung von Familienmitgliedern und ehemaligen Mitarbeitern entstandene Doku über den britischen Ausnahmedesigner, der sich 2010, einen Tag vor der Beerdigung seiner Mutter, im Alter von 40 Jahren das Leben nahm. Das persönliche und in seiner Grisseligkeit seltsam anziehende Material, das einen schönen Kontrast zum hochpolierten Blockbuster-Look der animierten Kapitelsequenzen bildet, ist einer der Gründe, warum der sehenswerte Film von Ian Bonhote und Peter Ettedgui trotz seiner klassischen Machart – dem üblichen Mix aus Interviewschnipseln, Archivaufnahmen und Fotos – über den Standard einer Modemacher-Dokumentation weit hinausgeht. Einen Modeschöpfer von Rang sieht man selten an einer ratternden Nähmaschine.

Mit Kollektionen wie „Jack the Ripper stalks his victims“ (1992) und den skandalumrankten Shows „Highland rape“ (1995) und „Voss“ (2001) mischte McQueen wie kein anderer Designer die Modewelt auf. Sein Werdegang war so ungewöhnlich wie es seine Entwürfe waren, die das Futuristische mit dem Morbiden verbanden und zudem mit autobiografischen Spuren durchwebt waren.

Der Sohn eines Taxifahrers aus dem Londoner East End lernte als 16-Jähriger das Handwerk bei Traditionsschneidern in London und Mailand. Danach begann er in London ein Modestudium. Bobby Hillson, die Leiterin des Studiengangs, erinnert sich an einen „unscheinbaren, ungepflegten, unattraktiven Jungen“, der voller Leidenschaft war und dem die fehlende Bildung einen komplett eigenen Zugang zu Literatur, Film und Kunst eröffnete – „er interpretierte die Dinge neu“. Bei der Abschlusskollektion wurde die exzentrische „Vogue“-Stylistin Isabella Blow zu Alexander McQueens Muse, Wegbereiterin und Mentorin, wobei die beiden nicht nur die Obsession für Mode verband, sondern auch eine von Traumata überschattete Kindheit: McQueen war als Junge von einem Schwager sexuell missbraucht worden.

1993 gründete McQueen sein nach ihm benanntes Label, was nur mit unbezahlter, hingebungsvoller Arbeit zahlreicher Mitarbeiter möglich war. Die nicht sehr hochwertigen Stoffe finanzierte er von seinem Arbeitslosengeld; nach der ersten Schau reichte das Geld gerade noch für ein Abendessen in einem Schnellrestaurant. Als er aber 1997 zum Designer für die Haute Couture des renommierten Modehauses Givenchy berufen wurde, wuchs der Druck. Der Rowdy aus dem East End war plötzlich „Monsieur McQueen“ – mit eigenem Fahrer und einem mehr als stattlichen Gehalt. Er pendelte zwischen London und Paris, war überarbeitet, nahm Drogen, litt unter Depressionen und Paranoia. Beziehungen zu Lebensgefährten und Mitarbeitern gingen in die Brüche. Mit dem Suizid der schwerkranken Weggefährtin Isabella Blow 2007 nimmt der Film zunehmend den Tonfall eines Requiems an.

Bonhote und Ettedgui erzählen das Leben oder genauer die Arbeitsbiografie von McQueen als eine Saga in fünf Kapiteln. Bisher unveröffentlichte Archivaufnahmen von Modenschauen, Backstage-Szenen und historische Interviews werden durch aktuelle Gespräche mit engen Freunden und Mitarbeitern ergänzt.

McQueens spektakuläre Modenschauen werden immer wieder als hochemotionale ästhetische Erfahrungen beschrieben – die Archivaufnahmen geben auch heute noch einen spannenden Eindruck davon. Man solle sich danach nicht wie nach einem Sonntagsessen fühlen, sondern entweder angewidert oder berauscht, sagte er in einem Interview: „Hauptsache, man fühlt etwas“.

Ab morgen in der Camera Zwo (Sb). Mehr zum Film und zu den anderen Neustarts der Woche gibt es morgen in unserer Beilage treff.region.

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