„Wir leben mitten in einer Postkarte“

Adler und Wale beobachten, wandern, radeln, paddeln oder angeln: Auf den Vesteralen kommen vor allem Naturliebhaber auf ihre Kosten. Aber es gibt auch reizvolle Museen und sogar ein Raketen-Zentrum.

 Wildwest in Nordnorwegen: Die Häuser an der Mole in Nyksund erinnern mit ihren falschen Fassaden an frühere Saloons. Fotos: THOMAS Reinhardt

Wildwest in Nordnorwegen: Die Häuser an der Mole in Nyksund erinnern mit ihren falschen Fassaden an frühere Saloons. Fotos: THOMAS Reinhardt

Nyksund/Sortland/Andenes. Hier sieht es ein bisschen gespenstisch aus. Wie in einem verlassenen Ort im Wilden Westen. Die großen Häuser mit den falschen Fassaden erinnern an Saloons in Texas. Einige der bunten Gebäude an der Mole sind renoviert, andere stehen leer. "Derzeit gibt es hier 20 Einwohner und 60 Häuser", berichtet Ssemjon Gerlitz.

Der 42-Jährige betreibt ein Hotel-Restaurant und arbeitet nebenher als Reiseführer. Er erzählt von der Blütezeit des Ortes, die 1878 mit dem Bau der Mole begonnen hatte. Fast 2000 Menschen lebten damals in Nyksund, hunderte von Nordmännern fuhren hinaus aufs Meer zum Fischfang. Doch ab 1950 war's damit vorbei, die neuen Boote waren zu groß für die kleine Bucht, die Menschen zogen weg, Nyksund wurde zur Geisterstadt.

Gerlitz und ein paar andere mutige Menschen haben sie wiederbelebt. Der Mann aus Düsseldorf kam 1997 in das verlassene Nest an der Nordspitze von Langoya auf der norwegischen Inselgruppe Vesteralen, verliebte sich in den einsamen Flecken und baute sich eine neue Existenz auf. "Inzwischen haben wir die höchste Restaurantdichte der Welt", flachst er, "drei Restaurants und ein Café bei 20 Einwohnern."

In Nyksund hört die enge Straße auf, die letzten Kilometer geht's über eine Schotterpiste, Fähren verkehren hier nicht. "Wir sind am Arsch der Welt gelandet", meint Alfons Batke, Besucher aus Osnabrück mit trockenem Humor, "aber es ist ein schöner Arsch." Das findet auch Bent Aase Solheim, der von den Vesteralen stammt und mit seiner Frau, die aus Bergen kommt, wieder hierhergezogen ist. "Wir haben gepokert", erzählt er, "vier Millionen haben wir investiert." Sein ganzjährig geöffnetes "Gjestehus" ist ein Schmuckstück, vor zwei Jahren habe er eröffnet, das letzte Jahr sei sehr gut gelaufen. Die Leute, die hierher kommen, seien begeistert von der ursprünglichen Landschaft, von der Mitternachtsonne im Sommer und vom Polarlicht im Winter. "Wir sind hier ganz nah an der Natur", schwärmt Solheim, "wir leben mitten in einer Postkarte."

Ortswechsel: Kvalsaukan, Gemeinde Sortland, Halbinsel Hinnoya. Laila Inga begrüßt die Gäste auf ihrer Rentierfarm, der Inga Sami Siida. Auf einer Anhöhe steht ihr Lawo, ein samisches, kegelförmiges Zelt, das hier aber aus festem Holz gebaut ist. Drinnen ist es dunkel, nur ein paar Kerzen brennen und in der Mitte glüht ein mächtiges Feuer. Die stämmige Samin, eine energische Frohnatur, begrüßt uns mit Joik, dem samischen Gesang, und erzählt von der Kultur der Samen, von ihren Rentieren, braunen und weißen, von den unvergleichlich dichten und zugleich weichen Fellen der Tiere, von Rentierfleisch, Geweihen und einigem mehr. Laila und ihr Mann Arild bieten verschiedene Touren an, zu den Rentieren in die Berge, zum Fischen oder im Winter mit dem Rentierschlitten, alles mit Vollpension - Rentierfleisch und Pfannkuchen aus Rentierblut inklusive.

Vom archaischen Lawu ins hochmoderne "Andoya Space Center" auf der Halbinsel Andoya. Hier wird das Phänomen der Polarlichter (Aurora borealis) wissenschaftlich erforscht, 1962 startete hier die erste von inzwischen über 700 norwegischen Höhenforschungsraketen. Ausstellungen infomieren über die Rolle Norwegens in der Raumfahrt ("Norway in Space") und über die Kultur, Geschichte und Wissenschaft der Nordlichter. Im Besucherzentrum "Raumschiff Aurora " kann man eine virtuelle Reise ins All antreten - ein Spaß nicht nur für kleine Raumfahrer. Als Geschenk gibt es ein Diplom.

In Andoya lohnt die Fahrt über die Küstenstraße, eine von vielen ausgewiesenen Landschaftsrouten in Norwegen, an denen spektakuläre Rastplätze und Aussichtspunkte locken. Es geht vorbei an der offenen See des Europäischen Nordmeeres, an langen Stränden mit weißem Sand, zum Beispiel beim Fischereidorf Bleik und schroffen Klippen, die unvermittelt aus dem Meer ragen.

Ganz im Norden von Andoya liegt die Gemeinde Andenes, bekannt für ihr Walzentrum, ihr Walmuseum und die Walsafaris, die hier starten. Da der Meeresboden vor der Küste bis zu einer Tiefe von rund 1000 Metern abfällt, jagen hier Pottwale, die regelmäßig zum Atmen auftauchen. Die beste Zeit, um diese majestätischen Tiere zu beobachten, sind die Monate Mai bis September. Außer den Wal- werden auch Robben- und Vogelsafaris angeboten.

Vesteralen besteht aus über 1000 Inseln. Die abwechslungsreiche Landschaft mit Fjorden und Schären, Seen und Flüssen sowie Bergen, die sich direkt aus dem Meer erheben, kann man mit dem Wagen, mit Fahrrad, Kanu oder über verschiedene Wanderrouten erkunden. Wer Glück hat, kann Seeadler und Papageientaucher beobachten und Dorsch, Schellfisch, Seewolf oder Lachs angeln.

 Die Samin Laila Inga füttert eines ihrer Rentiere. In Kvalsaukan, Gemeinde Sortland, betreibt sie mit ihrem Mann eine Farm.

Die Samin Laila Inga füttert eines ihrer Rentiere. In Kvalsaukan, Gemeinde Sortland, betreibt sie mit ihrem Mann eine Farm.

 Auf der Halbinsel Andoya führt eine 58 Kilometer lange Landschaftsroute an der wilden Meeresküste entlang.

Auf der Halbinsel Andoya führt eine 58 Kilometer lange Landschaftsroute an der wilden Meeresküste entlang.

Zum Thema:

AUF EINEN BLICKVesteralen ist eine Inselgruppe in Norwegen, etwa 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, auf der Höhe von Grönland. Sie besteht aus über 1000 Inseln und schließt nordöstlich an die bekanntere Inselgruppe Lofoten an. Die Regionalflughäfen in Stokmarknes und Andenes erreicht man mit dem Flugzeug über Oslo, Bodo oder Tromso. Die Schiffe der Hurtigrouten legen täglich in drei Städten an. Aber auch mit dem Auto ist die Inselgruppe zu erreichen: Eine Straße verbindet sie mit dem Festland. trvisitnorway.com polarkreis-reisen.de

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