Zu schnell gefahren Letzte Hoffnung für Temposünder

Saarbrücken · Internet-Rechtsportale bieten Autofahrern Hilfe, denen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen Bußgeld und Punkte drohen.

 Rund drei Millionen Tempoverstöße weist die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes im Jahr 2018 aus.

Rund drei Millionen Tempoverstöße weist die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes im Jahr 2018 aus.

Foto: dpa/Matthias Balk

Auf dem Gasfuß gestanden, bei Rot über die Kreuzung gebrettert, einem vorausfahrenden Auto an der Stoßstange geklebt – und dann geblitzt worden. Das sollte nicht passieren, kommt aber immer wieder vor. Solche Vergehen belasten nicht nur das Punktekonto beim Flensburger Kraftfahrtbundesamt (KBA), es geht auch ins Geld. Wer beispielsweise innerorts 30 Stundenkilometer zu schnell ist, muss 100 Euro zahlen und erhält einen Punkt im KBA-Register. Im Wiederholungsfall ist der Führerschein weg.

Die meisten zahlen ihren Bußgeldbescheid, auch wenn Zweifel aufkommen, ob man wirklich so schnell unterwegs war. Viele glauben schlicht, dass es sowieso nichts bringt, sich gegen die in strengem Amtsdeutsch geschriebenen und mit Rechtshinweisen gespickten Anschreiben zu wehren.Doch es kommt immer wieder vor, dass die Messungen der Blitzgeräte falsch sind, dass dabei Messgeräte verwendet wurden, deren Technik den rechtlichen Anforderungen nicht genügt, und deswegen Bescheide auf schwachen Füßen stehen. Das Thema spielt nicht erst seit dem Rechtsstreit um den Traffistar S350 von Jenoptik eine Rolle. Schon beim Verkehrsgerichtstag 2013 wurde eine Untersuchung vorgestellt, wonach ein Drittel der Bescheide fehlerhaft ist.

Die Fachleute unterscheiden dabei zwischen technischen und formalen Fehlern. So kann ein Messgerät falsch platziert oder nicht korrekt justiert sein. Zu viel Sonne oder Regen kann ebenfalls die Ergebnisse beeinflussen. Es kommt auch vor, dass es falsch bedient wurde, weil sich die Polizisten mit dem Gerät nicht auskannten, obwohl die messenden Beamten eine besondere Schulung nachweisen müssen. Es ist möglich, dass das Messgerät nicht geeicht war oder dass der Fahrer unscharf fotografiert wurde und nicht zu erkennen ist, was ebenfalls zur Einstellung des Verfahrens führen kann. Ein formaler Fehler kann beispielsweise eine unvollständige oder fehlende Rechtsbehelfsbelehrung sein, die ein Bußgeld-Verfahren zu Fall bringen kann.

Solche juristischen Fehler wollen Internet-Rechtsportale ausnutzen, die Verkehrssündern versprechen, dass sie bei Aussicht auf Erfolg ohne finanziellen Aufwand ihr juristisches Problem lösen. Das bekannteste von ihnen ist www.geblitzt.de. Es bearbeitet vier Delikte: zu schnelles Fahren, zu wenig Abstand zum vorausfahrenden Auto, das Nichtbeachten einer roten Ampel und Telefonieren am Steuer. Geprüft werden außerdem nur Fälle, bei denen es um Punkte und Fahrverbote geht. Gerade Letzteres ist für viele, die auf den Führerschein angewiesen sind, von existenzieller Bedeutung – und angesichts von 456 000 Fahrverboten pro Jahr auch ein weites Betätigungsfeld.

Als Erstes reicht der Betroffene seinen Bußgeldbescheid mitsamt Anhörungsbogen innerhalb der Widerspruchsfrist von zwei Wochen bei geblitzt.de ein und muss eine anwaltliche Vollmacht erteilen. Dann gibt das Portal die Fälle an Verkehrsrechtsanwälte von Partnerkanzleien weiter, die diese Vorwürfe prüfen. Egal, wie erfolgversprechend die Sache ist, sagt das Portal bis zu diesem Punkt eine Kostenübernahme zu. Falls die Prüfung ergeben habe, dass die Aussichten auf die Einstellung des Verfahrens gut sind, vertrete die Partnerkanzlei den Betroffenen weiter, ohne einen Cent zu verlangen, erklärt geblitzt.de.

Bei allen anderen Varianten, zum Beispiel bei einem Vergleich, böten die eingeschalteten Anwälte zwar ihre Dienste an – dann aber nicht mehr kostenlos. Das könne dann der Fall sein, wenn das Bußgeld zwar akzeptiert, aber ein Fahrverbot abgewendet werden kann. Fallen Gutachten an, kosteten diese auch extra. Kassieren wollen das Portal und das Schwesterunternehmen Coduka von den Bußgeldstellen, die den Anwalt bezahlen müssen, wenn ein Bescheid bei einem Prozess wegen erwiesener Mängel durchfällt.

Außerdem müssten die Anwälte, die für das Portal arbeiten, eine Lizenzgebühr entrichten. Im Gegenzug werde ihnen eine Software zur Verfügung gestellt, die hilft, die immer gleiche Bußgeld-Bürokratie standardisiert abzuarbeiten und damit Zeit zu sparen. Wenn Anwälte einen Fall bearbeiteten, erhielten sie zudem eine kleine Pauschale. Bis zu 500 Anfragen erreichten geblitzt.de täglich. „Zwölf Prozent der betreuten Fälle werden eingestellt, bei weiteren 35 Prozent besteht die Möglichkeit einer Strafreduzierung“, heißt es bei dem Unternehmen.

Andere Portale werben mit einer Turbo-Einschätzung der juristischen Lage. „Prüfen Sie jetzt Ihren Bußgeldbescheid in nur zwei Minuten“, heißt es auf der Seite www.verkehrsrechtshelfer.de. Mit Hilfe gezielter Fragen wird der Sachverhalt eingegrenzt. Nachdem die Angaben vollständig sind, wird eine automatische und kostenlose Ersteinschätzung des Falls versprochen. Danach sieht man weiter. Ob beim nächsten Schritt eine Rechnung gestellt wird, „ist von der Prüfung und der juristischen Bewertung abhängig“. Diese Prüfung umfasst neben den vier Standard-Verstößen (überhöhte Geschwindigkeit, zu dichtes Auffahren, über die Ampel bei Rotlicht und unerlaubtes Telefonieren) auch Verkehrsunfälle, Fahren ohne Führerschein oder unter Alkoholeinfluss. Außerdem ist hier keine Internet-Plattform am Werk, die die Fälle an Partneranwälte weitergibt, sondern die Kanzlei des Berliner Anwalts Wolf Wegener (AWW Group).

Das ist wiederum bei www.advocado.de anders. Das 2014 in Greifswald gegründete Unternehmen rühmt sich seines „geprüften Anwaltsnetzwerks aus mehr als 350 Partnerkanzleien“, das seit seiner Gründung vor fünf Jahren bereits 35 000 Mandanten geholfen haben will. Allerdings ist die Bußgeldberatung nur eines von vielen Rechtsgebieten, die von der Startup-Firma abgedeckt werden. Angeboten wird ein „kostenfreies und unverbindliches Erstgespräch mit einem auf das Thema Bußgeldbescheid spezialisierten Anwalt“. Bei weiterem Beratungs- und Handlungsbedarf werde ein Festpreis vereinbart. Erst danach erteile der Mandant eine Vollmacht. Darüber hinaus gibt es im Internet eine Vielzahl ähnlich gearteter Angebote, die alle eine kostenfreie Erstberatung versprechen – so unter anderem:

spezialkanzlei-bussgeldrecht.de
e-recht24.de
myrigt.de
bussgeldbescheid-einspruch.com
bussgeldprofi.de

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