Endlos lang, endlos dünn

In den Denkendorfer Textilinstituten entwickeln Forscher neue Fasertechniken. Ihr jüngster Coup: Die wohl weltweit dünnste Mikrofaser aus Zellulose ermöglicht superfeine Textilien fürs Filtern und Saugen.

 2000 Supermikrofasern enthält dieser Zellulosestrang, den der Chemiker Frank Hermanutz aus dem Wasserbad zieht. Foto: Klink

2000 Supermikrofasern enthält dieser Zellulosestrang, den der Chemiker Frank Hermanutz aus dem Wasserbad zieht. Foto: Klink

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Denkendorf . Mit sichtlichem Vergnügen holt Frank Hermanutz die wattige Textilprobe aus der Plastikfolie. Fühlt sich an wie feinste Baumwolle, geschmeidig, samtig, weiß mit leichtem Glanz. Mit Baumwolle hat die Neuentwicklung des Textilinstituts Denkendorf auch sonst noch einiges gemein: Beides besteht aus Zellulose, dem Hauptbestandteil von Naturfasern. Doch während die Baumwollfaser nur etliche Zentimeter lang ist, produzieren die Forscher vom Institut für Textilchemie und Chemiefasern ihre neue Zellulosefaser endlos. Sie dürfte die derzeit dünnste Textilfaser überhaupt sein und hat einen Durchmesser von nur ein bis zwei Mikrometern (tausendstel Millimeter). Das menschliche Haar ist mit 40 Mikrometern mehr als 20-mal so dick. Eine einen Kilometer lange Faser wiegt mit 20 Milligramm so viel wie eine Fliege.

"Diese sehr feinen Fasern bringen eine gigantische Oberfläche", erklärt der Textilchemiker Hermanutz und zeigt auf ein Diagramm. Beim Übergang von der bekannten Mikrofaser zur noch feineren Supermikrofaser steigt die Faseroberfläche in einem Textil sprunghaft. Das macht die neue Zellulosefaser für viele technische Anwendungen interessant: "Die Fasern sind ideal für die Filtertechnik", sagt Hermanutz. Die ersten Projekte laufen bereits an, erklärt der 50-jährige. Verwebt, gestrickt oder als Vlies kann ein Textil noch besser und feiner Verunreinigungen aus Kraftstoffen oder anderen Flüssigkeiten filtern. Im Wischtuch oder im Tampon lässt sich so noch mehr Flüssigkeit aufsaugen.

Fasst man den Zelluloseknäuel an, werden die Fingerkuppen warm: Das Material hat auch das Zeug zur Isolierung und Dämmung. Der Chemiker sieht in der Neuentwicklung ein gutes Beispiel für Hightech-Forschung und -Entwicklung in Deutschland. Während die Bekleidungsindustrie fast komplett nach Asien abgewandert ist, hält die hiesige Forschung bei den technischen Textilien ihren Vorsprung. "Wir untersuchen von den Rohstoffen der Fasern, über die Herstellung bis zu Produkt und Anwendung den gesamten Lebenszyklus der Textilien", sagt Hermanutz. Die zwei Textilinstitute in Denkendorf bei Esslingen arbeiten dabei Hand in Hand. Das Institut für Textilchemie und Chemiefasern (ITCF) forscht und entwickelt Fasern. Erst in den vergangenen Wochen hat das ITCF für 5,2 Millionen Euro ein neues Hochleistungsfaserzentrum in Betrieb genommen. Das Schwesterinstitut für Textil- und Verfahrenstechnik erkundet die Herstellung neuer Materialien, etwa Faserverbundwerkstoffe.

Um Mikrofasern auf die Endlos-Garnrolle zu bringen, lösen die Chemiker den Ausgangsstoff Zellulose in einer Flüssigkeit auf. Der Zelluloseanteil beträgt dann typischerweise zehn bis 20 Prozent. Diese Flüssigkeit pressen sie mit einem Druck von 20 bar durch eine Düse, aus der die Einzelfasern gezogen werden. 25 Mikrometer im Durchmesser muss ein Düsenloch haben, um Ein-Mikrometer-Fasern zu erzeugen. Physiker der Universität Stuttgart entwickelten ein Laserverfahren, um auf der Fläche einer Ein-Cent-Münze 2000 Düsenlöcher zu schießen. Die Düse sieht dann aus wie Großmutters Fingerhut, nur dass an die Stelle Dutzender Vertiefungen 2000 filigrane Löcher sitzen, die mit dem Auge gerade noch zu erkennen sind.

Die herausgepresste Zelluloseflüssigkeit hat zunächst eine Konsistenz wie Honig, "aber sie tropft nicht, sondern bildet Fäden", erklärt Hermanutz. Der Strang aus 2000 Einzelfasern wird durch ein Wasserbad gezogen. Dort verfestigen sich die Fasern. In einem weiteren Bad wird der nunmehr elastische Faden weiter gestreckt, so dass sich die langkettigen Zellulosemoleküle in der Faser ausrichten. "Dieses sogenannte Nassspinnen ist kompliziert", sagt Hermanutz. Die Folge chemischer und mechanischer Schritte muss genau eingestellt sein und beeinflusst die Faserqualität. Auf das Trocknen folgt noch eine Präparation des Garns: Ein Salz verhindert eine elektrische Aufladung der Supermikrofaser, eine Gleitschicht erleichtert die weitere Verarbeitung in Textilmaschinen.

"Wir beherrschen den gesamten Prozess", sagt Hermanutz stolz. Später werden diese Hilfsstoffe und -schichten wieder ausgewaschen. Die sogenannte Ausrüstung, für Wasser abweisende, Wasser anziehende und saugende oder antistatische Eigenschaften, erhält das fertig gewebte oder gestrickte Textil ganz am Ende der Herstellung. Obgleich die Prozesse pure Chemie seien, dürfe nicht vergessen werden, dass als Ausgangsmaterial ein nachwachsender Rohstoff wie Holz verwendet werde. Die Textilien mit der Supermikrofaser sind deshalb biologisch abbaubar und kompostierbar. Und vielleicht lässt sich damit in Zukunft auch die Produktion von Carbonfasern nachhaltiger gestalten. Diese stabilen und extrem festen Fasern sind nicht nur sehr teuer, sondern bislang ein reines Erdölprodukt. Durch weitere Prozessschritte ließe sich hingegen die auf Biomasse beruhende Zellulosefaser in eine Carbonfaser umwandeln, hoffen die Forscher.

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HintergrundDas Deutsche Institut für Textil- und Faserforschung in Denkendorf zählt zu den größten Forschungseinrichtungen seiner Art in Europa und untersteht dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen Baden-Württembergs. Das Institut hat 250 Mitarbeiter und ein Forschungsvolumen von rund 21 Millionen Euro. Es kooperiert mit der Uni Stuttgart und betreibt Auftragsforschung für die Industrie und staatliche Auftraggeber.

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