E-Sports Sind Computerspiel-Zocker richtige Athleten?

Saarbrücken/Los Angeles/Frankfurt · Der E-Sport wächst rasant. Die Bundesregierung will ihn als Sportart anerkennen. Ein saarländischer CDU-Politiker hat etwas dagegen.

 E-Sportler am Computer.

E-Sportler am Computer.

Foto: dpa/Christoph Soeder

(SZ/dpa) 100 Leute werden über einer Insel abgeworfen. Bewaffnet nur mit einer Spitzhacke. Sie bilden 50 Zweier-Teams. Das Ziel: überleben und alle anderen töten. Dafür sind überall auf der Insel Waffen und andere nützliche Dinge versteckt. Außerdem können Baumaterialien abgebaut und damit etwa Schutzvorrichtungen errichtet werden. Später verkleinert sich das Gebiet, das zur Verfügung steht, so dass sich die Gegner aufeinander zubewegen müssen. Schließlich kommt es zum Showdown der letzten Überlebenden. Am Ende bleiben nur „Ninja“ und „Marshmello“ übrig.

Für alle Nicht-Gamer sei kurz erklärt, worum es geht: um das Computerspiel „Fortnite Battle Royal“, das derzeit auch in Deutschland einen regelrechten Boom erlebt. Genauer: um eines der erfolgreichsten E-Sport-Turniere aller Zeiten, das vor einigen Wochen in Los Angeles ausgetragen wurde – mit jeweils 50 „Fortnite“-Profis und 50 Prominenten. Nach Angaben der Computerspiel-Zeitschrift „Gamestar“ sollen mindestens 1,5 Millionen Fans im Internet zugeschaut haben – eher deutlich mehr. Die Sieger „Marshmello“, ein Musikproduzent und DJ, und „Ninja“, ein absoluter Top-Star der „Fortnite“-Szene, kassierten eine Million Dollar, die sie für wohltätige Zwecke spenden.

Nun stellt sich eine Frage: Betreiben die Teilnehmer an solchen Veranstaltungen richtigen Sport – so wie Fußball, Leichtathletik oder Ringen? Der sportpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Saarland, Raphael Schäfer, hat dazu eine ganz klare persönliche Meinung: Für ihn ist E-Sport keine Sportart im eigentlichen Sinne – egal ob es dabei um ein Gemetzel wie bei „Fortnite“ oder um etwas friedlichere Spiele wie die Fußball-Simulation „Fifa“ handelt. Zum Sport gehört für Schäfer eine „motorische Aktivität“. Und das sei nicht gegeben, wenn Spieler auf einem Gamepad herumdrücken.

Mit dieser Auffassung stellt sich Schäfer allerdings gegen den Koalitionsvertrag, den seine eigene Bundespartei unterschrieben hat. Da­rin kündigen CDU, CSU und SPD an, den E-Sport „vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht“ anerkennen zu wollen. Doch das sei gar nicht möglich, argumentiert Schäfer: „Nicht die Politik entscheidet über eine Anerkennung als Sportart, sondern der autonome Sport.“ Beim Treffen aller sportpolitischen Sprecher der 16 Landtagsfraktionen von CDU und CSU hat Schäfer deshalb im April einen entsprechenden Antrag eingebracht – mit Erfolg. Die Unionspolitiker erklärten die „unabhängige Sportbewegung“ für zuständig.

Die beschäftigt sich inzwischen tatsächlich mit dem Thema E-Sport. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat dafür extra eine Arbeitsgruppe gegründet, die prüfen soll, ob das Spielen von Video- und Computergames nach festgelegten Regeln einen Platz in der Dachorganisation und ihren Verbänden und Vereinen finden könnte. „Wir sehen dringenden Klärungsbedarf“, sagt Veronika Rücker, Vorstandschefin des DOSB. „Wir spüren, dass E-Sport viele bewegt, das Thema wird überall diskutiert.“ Die von ihr geleitete Arbeitsgruppe E-Sport will eine „ergebnisoffene Debatte“ führen und zu einer Positionierung des organisierten Sports kommen. „Wir werden eine Empfehlung im Umgang mit E-Sport definitiv im Herbst geben“, so Rücker. Den Vorstoß der neuen Bundesregierung sieht der DOSB wie Schäfer als „klaren Angriff“ auf die Autonomie des Sports.

Dagegen ist das Bekenntnis der Politik für den Ende November 2017 gegründeten E-Sport-Bund Deutschland (ESBD) ein wichtiges Signal und womöglich der erste Schritt, auf absehbare Zeit als gemeinnützig anerkannt zu werden. Das wäre die Voraussetzung für eine Aufnahme des ESBD in den DOSB – neben der Frage, ob E-Sport überhaupt Sport ist. ESBD-Präsident Hans Jagnow hofft, mit einer Anerkennung „eine nachhaltige Basis“ im E-Sport schaffen zu können: „Wir haben eine große Schere zwischen dem professionellen E-Sport und Spielern, die mit sportlichem Anspruch E-Sport-Videospiele spielen, aber unorganisiert sind.“

CDU-Politiker Raphael Schäfer würde eine Anerkennung durch den DOSB akzeptieren, wie er betont. Er würde darin jedoch „ein falsches Signal“ sehen. In den klassischen Sportarten hätten die Vereine ohnehin schon „genug Probleme, Nachwuchs zu finden“, sagt der CDU-Landespolitiker aus Saarlouis. „Diese Situation würde eine Anerkennung des E-Sports als Sportart noch verschärfen.“

Doch der DOSB sieht auch Argumente für eine Anerkennung: „Man kann schon sagen, dass E-Sport mit anderen Sportarten, die unter dem DOSB-Dach vereint sind, eine vergleichbare sportliche Aktivität mit sich bringt“, bekennt Rücker offen. „Im E-Sport sind viele Elemente, die uns als Sport tragen und ausmachen, vorhanden.“ Man dürfe nicht unterschätzen, was E-Sportler an Training erbringen. Außerdem gebe es Jugendarbeit, Breiten- und Spitzensport.

Ein weiteres Konfliktthema sind gewalttätige Inhalte: Ein Spiel wie „Fortnite“ ist da noch vergleichsweise harmlos. Als deutlich problematischer gilt etwa „Counter-Strike“, das mit der expliziten Darstellung von Gewalt oft als Beispiel für „Killer-Spiele“ herangezogen wird. Zwei Gruppen – Terroristen und Counter-Terroristen – liefern sich dabei Gefechte. Die einen wollen eine Bombe platzieren, die anderen das verhindern. Es wird ordentlich geballert. Vor einigen Wochen erst bekriegten sich in Köln Profi-Teams bei einem der bekanntesten Turniere der Szene – der ESL One Cologne – vor rund 15 000 Zuschauern. Es ging um 300 000 US-Dollar.

Und das sind noch vergleichsweise bescheidene Verdienstmöglichkeiten, wenn man auf das vergangene Wochenende blickt: In Berlin wurden bei der PUBG Global Invitational sogar zwei Millionen Dollar ausgeschüttet. Das Prinzip von „PlayerUnknown’s Battlegrounds“ (PUBG) ist das gleiche wie bei „Fortnite“ und „Counter-Strike“: überleben und töten.

Den DOSB stimmt dieser Aspekt skeptisch: „Das ist ein Punkt, dem wir uns intensiv zuwenden werden. Wie viele Gewaltelemente sind in den Spielen enthalten?“, sagt Rücker. Es gebe Shooter- und Strategie-Spiele bis hin zu Fußball-Simulationen wie Fifa. „Die Sportspiele sind nicht die, die am weitesten verbreitet sind.“ Doch auch in diesem Bereich wächst der Markt rasant: Immer mehr Vereine aus der Fußball-Bundesliga nehmen Vollzeit-E-Sportler unter Vertrag – und zahlen ihnen mehrere Tausend Euro im Monat fürs Videospielen. Bremen, Wolfsburg, Schalke, Stuttgart, Leipzig, Bochum, Nürnberg, Leverkusen, Hertha, Köln – sie alle wollen auf der Trend-Welle reiten. Und natürlich Geld verdienen.

Denn die Umsätze mit Werbung, Sponsoring, Turniertickets, Medienrechten und Fanartikeln der E-Sport-Branche wachsen: Von 325 Millionen Dollar (rund 280 Millionen Euro) 2015 auf fast 655 Millionen Dollar 2017, wie das Marktforschungsinstitut Newzoo schätzt. Die Milliarde sei in Sicht. Und: Allein in Europa soll es rund 350 Millionen Freizeitspieler sowie eine wachsende Zahl an Zuschauern (Prognose für 2025: 850 Millionen) geben.

Da stellt sich die Frage: Wird E-Sport vielleicht irgendwann sogar olympisch? Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, kann sich das durchaus vorstellen: „Wenn dort Fußball oder Basketball gespielt wird, dann kann man solchen Inhalten und solchen Gamern durchaus nahetreten. Der nächste Schritt wäre, dies als Sport anzuerkennen. Das olympische Programm steht dann noch einmal auf einem ganz anderen Blatt“, meinte Bach. Der IOC-Chef machte deutlich, dass es im Fall der Fälle Grenzen geben würde. „Eine klare rote Linie“ gebe es dort, „wo die Inhalte der Spiele gegen unsere Werte verstoßen“, sagte Bach. Das sei immer dann der Fall, wenn Gewaltverherrlichung, Killerspiele, Diskriminierung Inhalt dieser Spiele seien.

Doch könnte man auch ganz provokant fragen: Braucht E-Sport Olympia überhaupt oder braucht Olympia den E-Sport mit seinem großen Potenzial? Jagnows grundsätzliche Meinung dazu: „E-Sport braucht vielleicht nicht Olympia, E-Sport braucht den olympischen Geist und seine Werte, um als Sportart auch dem Anspruch der Gesellschaft, den sie an Sport hat, gerecht zu werden“.

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