Die „Grande Dame“ der Freien Demokraten

München/Berlin · Sie sang mit Sophie Scholl im Chor, wurde von Helmut Kohl ignoriert und trat nach einem halben Jahrhundert aus Protest aus der FDP aus: Hildegard Hamm-Brücher war eine „Grande Dame“ mit Haltung – bis zuletzt.

 Haltung war für Hildegard Hamm-Brücher wichtig. Dafür überwarf sie sich sogar mit ihrer FDP und trat 2002 aus. Foto: Nietfeld/dpa

Haltung war für Hildegard Hamm-Brücher wichtig. Dafür überwarf sie sich sogar mit ihrer FDP und trat 2002 aus. Foto: Nietfeld/dpa

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Die großen Ämter hatte sie nie. Ein paar Jahre lang war sie Staatsministerin im Außenministerium, zuständig für die Kulturbeziehungen mit anderen Staaten. Und einmal, 1994, wurde sie von der FDP als Bundespräsidenten-Kandidatin aufgestellt - aber eine echte Chance hatte sie nicht. Doch Hildegard Hamm-Brücher gehörte zu jenen Menschen, die auf Posten nicht angewiesen waren. Sie hatte Haltung genug, um auch so zu einer der ersten prominenten Frauen in der bundesdeutschen Politik zu werden. Es gab eine Zeit, da wusste jeder, wer gemeint war, wenn von der "Grande Dame der FDP " die Rede war. Am Mittwoch ist sie mit 95 Jahren gestorben, wie ihr Sohn jetzt bestätigte.

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Hamm-Brücher als eine Frau, "die der Freiheit des Einzelnen höchsten Wert zumaß und die von der Fähigkeit der Menschen zur Selbstverantwortung überzeugt war". Sie habe wie kaum eine andere für einen Liberalismus gestanden, "der sich für Bürgerrechte, Zivilcourage und demokratische Kultur" eingesetzt habe. "Mit ihrer aufrichtigen Liberalität bleibt sie auch für nachfolgende Generationen ein Vorbild."

Hamm-Brücher selbst hatte sich in zuletzt aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zwei Oberschenkelhalsbrüche, Gedächtnislücken und Gleichgewichtsstörungen plagten sie. Ihre Haltung hatte sie dennoch bis zuletzt nicht verloren. Die Islamkritik der AfD sah sie kritisch: Für Tendenzen kurz vor "echtem Nazismus" bestehe in Deutschland großes Potenzial, warnte sie. Das Erbe des Nationalsozialismus sei nicht gebannt. Jener bestimmte auch Hamm-Brüchers Biografie: Geboren am 11. Mai 1921 in Essen, aus wohlhabenden Haus, aufgewachsen in Berlin-Dahlem. Mit zehn Jahren verliert sie die Eltern, lebt bei der Oma in Dresden. Mit 15 erfährt die preußische Protestantin, dass sie nach den Rassengesetzen der Nazis "Halbjüdin" ist. Aus dem Schwimmverein wird sie ausgeschlossen, auf Klassenreisen ist sie künftig unerwünscht. Sie wechselt aufs Internat Schloss Salem an den Bodensee, macht Abitur. "Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf und aus dem Herzen, wie die Deutschen waren. Sie waren grässlich", sagte sie über die NS-Zeit. Der Kampf für Freiheit und Demokratie prägt ihr Leben.

Nur durch eine Sondergenehmigung, die ihr der Nobelpreisträger Heinrich Wieland beschafft, darf sie während des Kriegs in München Chemie studieren. Mit Sophie Scholl vom Widerstandskreis "Weiße Rose " singt sie im Chor. FDP-Mitgründer Thomas Dehler holt sie zu seiner Partei. Ab 1948 sitzt sie im Münchner Stadtrat, dann im Landtag, im Bundestag - eine der ersten Frauen mit "Lebensberuf Politik". Hildegard Brücher heiratet einen Mann von der CSU - Erwin Hamm, Stadtrat in München. Politisch die beste Zeit sind für sie die Jahre, in der die FDP mit der SPD im Bund eine Koalition führt. Von 1976 bis 1982 ist sie Staatsministerin. Später sagt sie: "Die sozialliberale Koalition war das einzige Mal, dass ich politisch da verortet war, wo meine Grundüberzeugungen liegen."

Im Herbst 1982 ist es damit vorbei: Die FDP wechselt mitten in der Legislaturperiode von der SPD zur Union. Hamm-Brücher gehört zu den wenigen FDP-Abgeordneten, die nicht mitmachen. Und sie hält eine der Reden, die in die Parlamentsgeschichte eingehen. Der Kern besteht aus einem Satz. "Ich finde, dass beide dies nicht verdient haben: Helmut Schmidt , ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl , ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen." Kohl übersah sie seither, wo es ging.

Das Amt ist sie mit dem Machtwechsel los. In der FDP wird sie zur Randfigur. Die Aussöhnung - als Hamm-Brücher 1994 für die Nachfolge des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker nominiert wird - ist nicht von Dauer. Aus Koalitionskalkül stimmt die FDP dann doch für Roman Herzog , den Kandidaten der Union.

Nach 55 Jahren dann der endgültige Bruch. Am Tag der Bundestagswahl 2002 tritt sie aus der FDP aus - wegen antiisraelischer Äußerungen des damaligen Parteivizes Jürgen Möllemann . Zurück will sie nicht. Die letzten Jahre wird es stiller um sie. Auch als die FDP im September 2013 aus dem Bundestag fliegt, gibt es von ihr kein Wort. Dafür war Hamm-Brücher Dame genug.

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