Wenn das Steak per Boten kommt

Düsseldorf/Saarbrücken · Amazon und Co. haben in den vergangenen Jahren den deutschen Einzelhandel durcheinandergewirbelt. Doch im Lebensmittelhandel konnten Online-Händler bisher kaum Fuß fassen. Das könnte sich ändern.

 In Berlin hat Amazon mit Prime Now schon einen Schnell-Lieferdienst gestartet. Foto: Kembowski/dpa

In Berlin hat Amazon mit Prime Now schon einen Schnell-Lieferdienst gestartet. Foto: Kembowski/dpa

Foto: Kembowski/dpa

Angstgegner Amazon : Der deutsche Lebensmittelhandel wartet seit Monaten gebannt darauf, wann der US-Internet riese versuchen wird, auch den Handel mit Fleisch , Obst und Gemüse umzukrempeln. In diesem Herbst könnte es soweit sein. Rewe-Chef Alain Caparros warnte bereits, der Internetriese werde "wie ein Tornado in die Branche einziehen und so manchen Händler in Schwierigkeiten bringen".

Es geht um einen riesigen Markt. Rund 170 Milliarden Euro geben die Bundesbürger Jahr für Jahr im Lebensmitteleinzelhandel aus. Doch während sich die Onlinehändler im Buchhandel oder bei Textilien längst ein großes Stück des Kuchens gesichert haben, spielt der E-Commerce im Lebensmittelhandel noch eine kaum sichtbare Rolle. Nur rund ein Prozent der Branchenumsätze entfallen auf das Internet.

Amazon trauen viele Branchenkenner zu, das zu ändern - zulasten der Platzhirsche Edeka, Rewe oder Aldi. "Amazon könnte hier einen Dammbruch bewirken", meint etwa der Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein . Der Handelsexperte geht davon aus, dass der US-Konzern noch in diesem Jahr den bislang nur in einigen US-Metropolen und in London angebotenen Lebensmittellieferdienst Amazon Fresh auch in Deutschland starten und dann auch hierzulande frische Lebensmittel bis an die Wohnungstür liefern wird - zunächst wohl in Berlin.

Amazon selbst schweigt zwar zu seinen Plänen. Doch kann der Start von Amazon Now im Mai durchaus als Aufwärmen für den großen Coup betrachtet werden. Immerhin können sich Kunden des Abo-Dienstes Prime in der Bundeshauptstadt damit schon jetzt innerhalb von einer Stunde eine begrenzte Auswahl von Lebensmitteln wie frisches Obst und Gemüse , Tiefkühlpizzen oder Getränke liefern lassen. Amazon Fresh würde das Angebot noch einmal drastisch vergrößern - auch wenn die Lieferung vielleicht ein bisschen länger dauern würde.

Fabian Schulz, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands im Saarland, sieht dem Vorstoß des Internet-Konzerns noch immer gelassen entgegen. Es sei richtig, dass der Internet-Handel auch vor dem Lebensmittelmarkt nicht haltmachen werde. Doch er gehe davon aus, dass Amazon es schwer haben werde, sich auf dem deutschen Markt in diesem Bereich große Marktanteile zu sichern. Dafür führt er zwei Argumente an - die Preissensibilität der Deutschen und den Wunsch, die Ware vor dem Kauf zu begutachten. "Beim Einkauf sollte das Erlebnis nicht unterschätzt werden, dass die Käufer die Ware sehen und ihre Frische prüfen können", sagt Schulz. Ob Gemüse oder Fleisch - die Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Waren spielt dabei durchaus eine Rolle. Außerdem seien die Kunden im Saarland - anders als im angrenzenden Frankreich - beim Lebensmitteleinkauf sehr preissensibel. Das mache es für Amazon schwer, einen profitablen Lieferservice aufzubauen. "Außerdem schläft auch der saarländische Lebensmittelhandel nicht", sagt Schulz. "Auch jetzt versorgen lokal ansässige Händler Menschen zum Beispiel bei fehlender Mobilität per Lieferservice mit Lebensmitteln." Und die Warenkette Globus teste mit dem Projekt Fridel neue Konzepte, bei denen der Einkauf zum Erlebnis werde.

Gute Chancen räumt Schulz dagegen Internet-Services ein, die Komplett-Pakete verkaufen, in denen dann neben dem Rezept auch alle benötigten Zutaten enthalten sind. "Bei solchen Produkten spielt der Preis dann auch keine so entscheidende Rolle mehr", sagt der Verbandschef.

Meinung:

Angst ist nicht nötig

Von SZ-Redakteur Joachim Wollschläger

Sieht die Paprika gut aus? Ist der Brokkoli schon welk? Ist das andere Stück Fleisch nicht doch etwas schöner? Wer seine Lebensmittel direkt im Laden kauft, wägt genau diese Fragen ab. Milch ist natürlich Milch , aber bei Gemüse und Fleisch geht es oft um den kleinen Unterschied. Das wird nichts daran ändern, dass es auch Kunden geben wird, die die Möglichkeit eines Lieferservice gerne nutzen werden. Aber Lebensmittelhändler, die auf besondere Frische und die entsprechende Präsentation achten, werden sich vor der Internet-Konkurrenz nicht fürchten müssen. Sie werden sicher auch in Zukunft ihre Käufer finden.

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