Naturanbetung, Betonanbetung

Dass Doris Dörrie ein Faible für Japan hat, ist nach ihren Filmen „Erleuchtung garantiert“ oder „Kirschblüten – Hanami“ kein Geheimnis mehr. Auch mit ihrem neuen Werk kehrt die 60-jährige Regisseurin ins Inselreich zurück. „Grüße aus Fukushima“ begleitet die junge Deutsche Marie auf ihrer Reise in die japanische Katastrophenregion, wo sie Bewohner der Notunterkünfte aufheitern will. Die Begegnung mit einer alten Geisha ändert ihre Weltsicht. SZ-Mitarbeiter André Wesche hat Dörrie getroffen.

 Szenenfoto aus Dörries Film: Um mehr Kontrastschärfe zu haben, entschied sie, ihn in Schwarzwei´ß zu drehen. Foto: Majestic filmverleih

Szenenfoto aus Dörries Film: Um mehr Kontrastschärfe zu haben, entschied sie, ihn in Schwarzwei´ß zu drehen. Foto: Majestic filmverleih

Foto: Majestic filmverleih

Hatten Sie ein mulmiges Gefühl, als Sie sechs Monate nach Fukushima dorthin gereist sind?

Dörrie: Na klar. Damals war es noch Sperrzone. Ich habe Leute in Notunterkünften besucht. Damals dachten sie noch, es sei eine Übergangslösung. Heute, fünf Jahre später, sitzen sie immer noch da. Ich denke, das wird sich auch nicht mehr ändern.

Hat die Politik nichts getan?

Dörrie: Doch, schon. Naoto Kan, damals der Premierminister, hat eigentlich sehr gut reagiert. Er hat Hierarchien übersprungen und alles möglich gemacht, was in seinen Kräften stand. Aber dann haben sie sich Abe geholt, der jetzt wieder ans Netz geht und eine fatale Politik betreibt. Nicht nur, was die AKWs angeht, sondern insgesamt.

Warum leisten die Japaner so wenig Widerstand?

Dörrie: Komplizierte Frage. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer der Demonstrationen, die am Jahrestag der Katastrophe in Tokio stattfinden, würde ich auf 75 schätzen. Die Jungen demonstrieren nicht und engagieren sich auch nicht gegen Atomkraft. Zum einen gibt es keine demokratische Kultur des Widerstandes in Japan. Es gab nie eine Bewegung wie Brokdorf. Und es wurde immer zwischen der "bösen" Atomenergie, der Atombombe, und der "guten", der "sauberen" Kernkraft, unterschieden. Das ist sehr stark in den Köpfen drin. Ich habe einige junge Japaner aus dem Team gefragt, sie hielten es für verlogen, wenn sie sich jetzt gegen Kernenergie engagierten. Sie wollen nur, dass ihr Computer läuft.

Spielt auch eine gewisse Unterwürfigkeit eine Rolle?

Dörrie: Nein. Sicher existiert eine größere Bereitschaft, Dinge zu akzeptieren. Vielleicht durch Gewöhnung an Naturkatastrophen. Japaner leben ständig mit Taifunen, Tsunamis, Erdbeben. Jede Woche gibt es in Japan irgendwo ein Erdbeben.

Wird in den Medien nie eine Brücke von Hiroshima zu Fukushima geschlagen?

Dörrie: Nein, gar nicht. Vor anderthalb Jahren wurde ein neues Pressegesetz durchgedrückt, das erschweren soll, negativ über Japan zu berichten und dem Ansehen zu schaden. Diese Verbindung wird nur von kleinen, alternativen Medien aufgegriffen. Und davon gibt es schon einige, aber nicht im großen Stil.

Wie bewerten Sie als häufiger Gast, dass es kaum Proteste gibt?

Dörrie: Manchmal hält man das nicht so gut aus. Genauso wenig wie den wahnsinnigen japanischen Rassismus. Gleichzeitig gibt es wieder diese große Aufmerksamkeit. Das Nachdenken darüber, wie es dem Anderen geht, bevor man über sich selbst nachdenkt. Das beeindruckt mich. Wenn uns hierzulande kalt ist, drehen wir die Heizung auf. Der Japaner zieht sich dann wärmer an. Er verlangt nicht, dass die Umgebung sich nach ihm richtet. Das heißt aber auch, dass man eben versucht, den Atem anzuhalten, wenn in der Umgebung ein Kraftwerk explodiert und Strahlung austritt.

"Grüße aus Fukushima" ist Ihr vierter Film mit Japan-Bezug. Was fasziniert Sie so an Japan?

Dörrie: Es ist immer etwas Anderes, diese Gleichzeitigkeit von Dingen. Japan ist so wahnsinnig detailverliebt und so genau, so poetisch. Und dann gibt es wieder diese irrsinnige Trash-Kultur, Beton und Naturverwüstung. Andererseits hat man diesen kleinen Garten im Teller und betet die Natur an. Diese komplette Ambivalenz der Dinge finde ich sehr faszinierend.

Wieso haben Sie den Film in Schwarzweiß gedreht?

Dörrie: In Farbe hätte alles sehr matschig ausgesehen. Der Himmel ist graublau, die Luft ist sehr feucht. Es gibt kaum Kontraste. Schwarzweiß hat einen viel höheren Kontrast. Gleichzeitig bringt es eine Metaphernhaftigkeit mit sich. Die Banalität der Farbe verschwindet. Auch ist sofort eine Verbindung zu alten japanischen Filmen da.

Ist die Figur der Marie ein Alter Ego der jungen Doris Dörrie?

Dörrie: Auch nach 25 Japan-Besuchen kann ich noch immer nicht alles richtig machen. Das ist die traditionelle Rolle des Westlers, der "Langnase". Es wird von japanischer Seite sehr darauf geachtet, dass man draußen bleibt. Japaner haben die Vorstellung, sehr anders und sehr besonders zu sein.

Gibt es die Geisha-Kultur noch?

Dörrie: Es gibt so etwas wie ein kleines Revival. Ich hatte von der letzten Geisha von Kamaishi gelesen, die damals 86 war. Kamaishi, nördlich von Fukushima, wurde von der Katastrophe schwer getroffen. Die alte Frau, die in einer Notunterkunft wohnte, war traurig darüber, dass sie ihr Lied, "Fisherman's Song", nicht weitergeben konnte. Jede Geisha hat ihre eigene Musik. Aber in Kamaishi war nur sie übrig geblieben. Dann haben sich drei junge Geishas aus Tokio aufgemacht, um das Lied von ihr zu lernen. Ich habe sie in Tokio ausfindig gemacht, jetzt spielen sie im Film mit.

Wie sieht die Rolle der Frau im Japan von heute aus?

Dörrie: Wenn ich in Begleitung von Männern einen Raum betrete, werde ich nicht begrüßt. Wenn herauskommt, dass ich die Chefin bin, ist das allen so peinlich, dass gar nichts mehr geht. Japan ist noch eine irrsinnige Macho-Kultur.

Ab Do in der Camera Zwo (Sb). Die übrigen anlaufenden Filme: "Birnenkuchen mit Lavendel" (Camera Zwo, Sb), "Trumbo" (Cinestar/Camera Zwo, Sb), "Babai" (Filmhaus, Sb), "London has fallen" (Cinestar/UT, beide Sb; Odeon, Mzg).

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