Wenn die Anti-Baby-Pille krank macht

Paris. "Meliane" hat ihr Leben zerstört, sagt Marion Larat. Die Anti-Baby-Pille sei schuld daran, dass sie 2006 einen Gehirnschlag erlitt und ins Koma fiel. Seither leidet sie an epileptischen Anfällen und ist zu 65 Prozent behindert. Neun Mal musste sie operiert werden

Paris. "Meliane" hat ihr Leben zerstört, sagt Marion Larat. Die Anti-Baby-Pille sei schuld daran, dass sie 2006 einen Gehirnschlag erlitt und ins Koma fiel. Seither leidet sie an epileptischen Anfällen und ist zu 65 Prozent behindert. Neun Mal musste sie operiert werden. "Weil sie eine Verhütungspille genommen hat, wurde ihr Alltag zu einem Albtraum", erklärt Marions Vater André Larat. Deshalb klagt die 25-jährige Französin gegen das Pharma-Unternehmen Bayer als Hersteller von "Meliane" (in Deutschland nicht auf dem Markt) wegen fahrlässiger Körperverletzung sowie gegen den Generaldirektor der französischen Nationalagentur für die Sicherheit von Medikamenten ANSM. Ihr haben sich nun 30 weitere Französinnen angeschlossen, die die Konzerne Bayer, Schering, Pfizer und Merck verklagen wegen der Herstellung von Pillen der dritten und vierten Generation.Die Frauen im Alter zwischen 17 und 48 Jahren sehen einen Zusammenhang zwischen der Einnahme und schweren Gesundheitsproblemen wie Thrombosen, Lungen-Embolien, Hirnschlägen und Venenentzündungen. Eine von ihnen ist gestorben; ihre Familie hat Klage eingereicht. Die Pillen der dritten und vierten Generation sind in Frankreich seit den 80er Jahren auf dem Markt und haben gegenüber denen der ersten und zweiten Generation einen geringeren Östrogengehalt. Das soll unerwünschte Nebenwirkungen wie Akne oder Gewichtszunahme vermeiden. Allerdings konnten diese Vorteile laut einer Studie der Gesundheitsbehörde HAS vom September 2012 nicht nachgewiesen werden; dennoch nehmen 1,5 bis zwei Millionen Frauen in Frankreich diese Pille.

Als erwiesen gilt hingegen ein verdoppeltes Risiko von Blutgerinnseln gegenüber den Pillen der ersten und zweiten Generation, die ebenfalls bereits diese Gefahr bergen, vor allem in Verbindung mit Tabak-Konsum, Übergewicht oder häufigen Flugreisen. In den USA wurden Ende 2011 mehr als 13 000 Klagen gegen den Konzern Bayer eingereicht, der sich auf einen Vergleich und die Zahlung von 107 Millionen Euro einließ.

Bernard Delorme von der ANSM sagte in der französischen Zeitung "Le Figaro", jährlich sterben in Frankreich zehn bis 30 Frauen an den Folgen der Pillen-Einnahme. Dementsprechend stark stehen nun auch die Gesundheitsbehörden in der Kritik. Die ANSM empfiehlt nun, die Verschreibung der Pillen der dritten und vierten Generation massiv einzuschränken. Gesundheitsministerin Marisol Touraine hat angekündigt, ab März würden die Kosten nicht mehr von der Krankenkasse erstattet. Den Betroffenen und vielen Experten geht das nicht weit genug. "Auch wenn das erhöhte Risiko relativ schwach ist, ist es nicht akzeptabel, wenn es sichere Alternativen gibt", sagt der Professor für medizinische Pharmakologie Jean-Louis Montatruc. Véronique Séhier vom Nationalen Büro für Familienplanung fordert eine klare Entscheidung: "Entweder die Pillen der dritten und vierten Generation sind gefährlich, dann muss man sie vom Markt nehmen. Oder sie sind ungefährlich, dann darf man keine Unterschiede zu den anderen Verhütungspillen machen."

Marion Larat ist von der Gefahr überzeugt und kämpft dafür, dass andere Frauen nicht dasselbe Schicksal erleiden wie sie selbst. Bayer hat erklärt, die Vorwürfe prüfen zu wollen. Man habe aber Verständnis für den Schmerz der Klägerin und ihrer Familie.

Behörden haben geschlafen

Von SZ-KorrespondentinBirgit Holzer

Fehlerhafte Brustimplantate, krank machende Appetitzügler - und jetzt eine Klagewelle gegen Hersteller von Anti-Baby-Pillen, die krank machen sollen: Frankreich hat einen neuen Gesundheitsskandal. Das Vorgehen der Behörden muss dabei verwundern: In Studien wurden die angepriesenen Vorteile der betroffenen Pillen nicht erwiesen, wohl aber eine erhöhte Gefahr für Blutgerinnsel. Dennoch wird mit Maßnahmen gezögert, und die Krankenkasse erstattet weiter einen Teil der möglicherweise schädlichen Pillen, während man gleichzeitig vor Risiken warnt. Zurück bleibt eine große Verunsicherung bei den Konsumentinnen, die sich schlecht oder falsch informiert fühlen. Erneut haben die Behörden geschlafen oder ein Auge zugedrückt. Das ist umso unverzeihlicher, als es sich um das wertvollste Gut der Patienten handelt: ihre Gesundheit.

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