Islam Religionsfreiheit auf Kosten der Tiere?

Saarbrücken/Luxemberg · Moscheen in Belgien pochen auf lockerere Regeln für das Schlachten nach islamischem Ritus. Die Muslime im Saarland sind gespalten.

Mohamed Maiga schickt einmal im Jahr Geld nach Mali. In die Heimat. Zur Familie. Ehrensache. „Dort wird dann zum Opferfest ein Lamm geschlachtet und an Bedürftige verteilt“, sagt der Präsident  des Saarbrücker Vereins Ramesch Forum für interkulturelle Begegnung. Den Eigenbedarf an geschächtetem Fleisch, also an Fleisch, das nach den islamischen Geboten geschlachtet wird, beziehe er meistens aus Frankreich. Ihm bleibt kaum etwas Anderes übrig: Im Saarland selbst gibt es nämlich keinen Schlachthof mit entsprechender Zulassung. Die nächstgelegenen Höfe befinden sich in Metz, Saarburg und Altviller.

„Ich sehe da kein Problem. Das ist ja um die Ecke“, sagt Maiga. Außerdem gebe es im Saarland mittlerweile viele Metzgereien mit ausreichendem „Halal“-Angebot, sprich Ware ohne Schweinefleisch, Blut oder Alkohol. Von einem Versorgungsengpass könne nicht die Rede sein.

Doch genau den beklagen seit geraumer Zeit islamische Vereinigungen und Moscheen in Belgien. Sie fordern, dass das rituelle Schlachten ohne Betäubung nicht nur in dafür zugelassenen Schlachthöfen möglich ist. Alles andere beschränke die Religionsfreiheit, zumal in den regulären Höfen gerade zu besonderen Anlässen wie dem Opferfest die Kapazitäten ausgelastet seien. Dieser Argumentation erteilte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Nils Wahl, gestern eine klare Absage. Der EU-Gutachter sprach sich klar gegen die Lockerung der strengen Vorschriften für das Schächten aus. Die Beschränkung auf registrierte Schlachthofe beschneide nicht die Religionsfreiheit von Muslimen. Die EU-Regelungen brächten die Religionsfreiheit „mit den Erfordernissen des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit zum Ausgleich“, heißt es in den von Generalanwalt Wahl gestern in Brüssel verkündeten Schlussanträgen.

Die Vorschrift, dass aus Gründen des Tierwohls und der Gesundheit nur in zugelassenen Schlachtereien geschächtet werden dürfe, sei neutral. Ein belgisches Gericht hatte dem EuGH die Frage nach der Religionsfreiheit vorgelegt, nachdem im Jahr 2015 das Schächten außerhalb der regulären Höfe verboten worden war. Zuvor hatte der zuständige Minister immer wieder Ausnahmen zugelassen. Ob die Moscheenverbände sich doch noch durchsetzen oder nicht, entscheidet sich in absehbarer Zeit. Ein Urteil dürfte in einigen Monaten fallen. In der Mehrzahl der Fälle folgten die Richter bisher der Einschätzung des Gutachters.

In Deutschland ist das Schächten von nicht betäubten Säugetieren mit einem Kehlschnitt aus reli­giösen Gründen nur in zugelassenen Schlachtereien und unter Aufsicht des Veterinäramtes erlaubt. Dass es im Saarland keine entsprechende Schlachterei gibt, ist nach Ansicht des Kulturmittlers Mehdi Harichane ein großes Problem. Privat wie beruflich hat er viel Kontakt zu Muslimen. Seine Einschätzung: „Für Muslime im Saarland ist es schwer und fast unmöglich, ihrer Pflicht nachzukommen.“ Damit meint er die religiöse Verpflichtung, an Festen wie Ramadan, dem Opferfest oder auch zur Geburt eines Kindes selbst „halal“ zu schlachten oder die Ware direkt vom Schlachthof zu beziehen.

Harichane wünscht sich mehr registrierte Schlachthöfe, und auch ein entsprechendes Angebot im Saarland. Schließlich sei das Schächten selbst unter nicht praktizierenden Muslimen weit verbreitet. Harichane sieht auch wirtschaftlich eine vertane Chance: „Warum müssen wir das Fleisch aus dem Ausland importieren, wenn wir es auch im Saarland herstellen könnten?“ Die aktuelle Lage sei ein „Nährboden für illegales Schlachten“. Für das, was Mohamed Maiga „das Schlachten in der Badewanne oder im Garten“ nennt. Maiga spricht zwar halb im Scherz, aber wer sich auch mit anderen Muslimen über dieses Thema unterhält, stellt schnell fest: Es ein offenes Geheimnis, dass nicht alle Glaubensbrüder die rituelle Schlachtung absolut regelkonform handhaben. Das jedoch, meint Maiga, sei ein Missstand. „Alles muss seine Ordnung haben. Es steht nirgendwo im Koran geschrieben, dass jeder selber oder an seinem Wohnort schlachten muss.“

Der Meinung ist auch Ali Chabakji, Metzger im Supermarkt City Basar in der Saarbrücker Mainzer Straße. Sein Halal-Fleisch bezieht er aus Saarburg und Metz. „Dort gibt es strenge Kontrollen.“ Das Fleisch sei am Ende, wie im Islam vorgeschrieben: „Ohne Blut.“ Auch die Tiere litten nicht so, sagt Chabakji. Sie würden dort direkt ohne Betäubung getötet, und es bestehe keine Gefahr, dass sie „wieder aufwachen“. Eine Praxis, die wohl nicht jeder als „tierfreundlich“ bezeichnen würde. Dennoch: Die hohe Nachfrage ist nicht von der Hand zu weisen. „Auch Deutsche kaufen das Halal-Fleisch“, sagt Chabakji.

 Ein Markt, der nicht nur im Saarland weiter wachsen dürfte. Einer aktuellen Studie zufolge wird der Anteil der Muslime an der Bevölkerung in Deutschland bis 2050 deutlich steigen – und zwar je nach Szenario von derzeit rund sechs auf 8,7 bis zu fast 20 Prozent. Das Washingtoner Pew Research Center, das die Studie in der Nacht zum Donnerstag veröffentlicht hat, sagt für ganz Europa einen deutlichen Anstieg des muslimischen Anteils voraus – selbst wenn die Zuwanderung gestoppt würde.

Eines wird wohl weder eine Studie noch der weiseste Imam voraussagen können: die Antwort auf die Frage nämlich, ob diese Menschen künftig ihr Fleisch nur noch aus zugelassenen Höfen beziehen wollen oder ob ihnen auch der Metzger von nebenan reichen wird.

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