Paris trotzt Brüssel im Roma-Streit

Brüssel/Paris. Das Zusammentreffen der beiden Termine könnte wie eine Kampfansage an die Kommission verstanden werden: Am gestrigen Nachmittag debattierte die französische Nationalversammlung erstmals ein neues Ausländerrecht, das unter anderem die Ausweisung von Roma auf eine neue Grundlage stellt

Brüssel/Paris. Das Zusammentreffen der beiden Termine könnte wie eine Kampfansage an die Kommission verstanden werden: Am gestrigen Nachmittag debattierte die französische Nationalversammlung erstmals ein neues Ausländerrecht, das unter anderem die Ausweisung von Roma auf eine neue Grundlage stellt. Heute Vormittag entscheidet die EU-Kommission in Brüssel, ob gegen Paris ein Strafverfahren wegen der Abschiebungen formell eingeleitet wird.Die Atmosphäre ist aufgeheizt. Französische Regierungsvertreter ließen ein Treffen mit der zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding platzen, bombardieren sie aber seit Tagen mit immer neuen Unterlagen, die belegen sollen, dass Paris sich keineswegs eines Verstoßes gegen die europäischen Verträge schuldig gemacht hat. Wie sehr die Nerven in Brüssel blank liegen, konnte man an der scharfen Reaktion der Kommission auf ein Zitat des bulgarischen Innenministers Tswetan Tswetanow ablesen, der die Roma-Gemeinschaft als "Brutkasten des Verbrechens" bezeichnet hatte. Eine "inakzeptable" Äußerung, polterte man in Brüssel zurück.Rund 15 000 Roma aus Bulgarien und Rumänien lebten in Frankreich. Etwa 8000 hat die Regierung seit Anfang des Jahres abgeschoben. "Jede Ausweisung beruht auf einer eingehenden und individuellen Prüfung der Situation betroffener Personen und trägt unter richterlicher Aufsicht der Verhältnismäßigkeit Rechnung", begründeten die französischen Behörden vor wenigen Tagen erneut ihr Vorgehen. Außerdem habe es sich bei der Räumung von 550 illegalen Camps seit August nicht um eine ethnische Diskriminierung gehandelt: In 80 Prozent der Fälle seien die Betroffenen keine Roma gewesen, sondern französische Staatsbürger sowie Angehörige aus dem Nicht-EU-Ausland.Dagegen will Paris nun verschärft angehen. Wer das Sozialsystem belastet oder die öffentliche Ordnung durch Diebstahl und aggressives Betteln stört, soll künftig des Landes verwiesen werden können. Eingewanderten Landsleuten will die Pariser Regierung die Staatsangehörigkeit entziehen, wenn sie einen Polizisten angreifen oder gar töten. Dieser Vorstoß gilt selbst in Sarkozys eigenem Lager als verfassungsrechtlich fraglich.Die Kommission sammelt derweil weitere Informationen, weil der Beschluss, der heute Vormittag gefasst werden soll, "rechtlich absolut wasserdicht sein muss", wie ein Mitarbeiter betonte. Kommissarin Reding misstraut weiter den Darstellungen aus Paris. Berichte aus diversen Städten der Republik belegten, dass die Säuberungen weitergingen und immer noch gezielt nach Roma gefahndet werde, ohne dass es eine Einzelfallprüfung gebe, die die EU-Verträge vorschrieben. In dieser Gemengelage kam die gut gemeinte Ankündigung Ungarns, die Situation der Roma zu einem Schwerpunkt seiner Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2011 zu machen, eher als Beitrag zum Aufheizen des Streits an. Paris mutmaßt, dass es weiter öffentlich an den Pranger gestellt werden soll.

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