Obamas Baldrian für Europa

Athen · Heute kommt der scheidende US-Präsident Barack Obama zum Abschiedsbesuch nach Berlin. Der Chef-Außenpolitiker der Unionsfraktion, Franz Josef Jung, rechnet mit einem Signal Obamas an die Europäer. Mit dem künftigen Präsidenten Trump müsse nun zügig das Gespräch gesucht werden, so der Ex-Verteidigungsminister gegenüber SZ-Korrespondent Hagen Strauß.

 Obama sagt Europa „Goodbye“ – seine erste Station seiner Reise war Athen. Hier traf er den griechischen Premier Alexis Tsipras (r.) Foto: Panatiotou/dpa

Obama sagt Europa „Goodbye“ – seine erste Station seiner Reise war Athen. Hier traf er den griechischen Premier Alexis Tsipras (r.) Foto: Panatiotou/dpa

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Eigentlich sollte der lange geplante letzte Berlin-Besuch des scheidenden US-Präsidenten Barack Obama am heutigen Mittwoch vor allem einem Zweck dienen: der Bundesregierung mit Genugtuung klar zu machen, dass sie unter Hilllary Clinton im Weißen Haus mit Kontinuität in der amerikanischen Außen- und Transatlantik-Politik rechnen könne. Doch auch Obama wurde vom Wahlsieg Donald Trumps kalt erwischt und geschockt. Und nun lauten seine Hausaufgaben: Angela Merkel und dem Rest Europas klar zu machen, dass vermutlich alles gar nicht so schlimm wird, wie es die Wahlkampf-Aussagen Trumps befürchten lassen.

Einen ersten Anlauf dazu unternahm Obama bereits bei seiner Pressekonferenz vor am Abflug am Montagnachmittag (Ortszeit) nach Griechenland, der ersten Station seiner Abschieds-Tournee. Er beschrieb Trump als "pragmatisch" - und prognostizierte, dass die Bedeutung des Amtes schnell ein "Weckruf" (Obama) für den Republikaner sein werde, der in den Monaten vor dem Erfolg immer wieder deutliche Kritik an der Lastenverteilung innerhalb der Nato geübt hatte. Obama hatte bei dem Medienauftritt dann jede Menge Baldrian für die Europäer parat: Trump habe ihm gegenüber versichert, dass er sich an Amerikas Verpflichtung gebunden fühlt, jeden Nato-Alliierten zu verteidigen, falls dieser von Russland oder einer anderen Nation attackiert werde. Im Vorfeld der Wahl hatten Trumps wohlwollende Worte in Richtung Kreml und Wladimir Putin ("Ein starker Führer, anders als Obama") für Besorgnis und Rätselraten in Bezug auf die künftige US-Sicherheitspolitik gesorgt. Der neu gewählte Präsident - der das Prinzip "America first" propagiert hat - hatte angedeutet, jene Nato-Staaten von der Beistandspflicht auszunehmen, die ihren im Bündnis verankerten finanziellen Verpflichtungen mit Blick auf den eigenen Verteidigungshaushalt nicht nachgekommen sind.

Dass der ohne seine Familie anreisende Barack Obama im Hotel "Adlon" in Berlin als sogenannte "lahme Ente" absteigen wird, dessen Entscheidungen bis zum Amtsantritt Trumps am 20. Januar 2017 kaum noch Relevanz haben werden, ist sowohl dem Gast wie auch dem Gastgeber klar. Er wolle gegenüber Angela Merkel auch seine Dankbarkeit für ihre berechenbare und humanitäre Politik ausdrücken, heißt es in Washington. Das will das Weiße Haus ausdrücklich auch auf die umstrittene Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin bezogen wissen, die -und das braucht Obama noch nicht einmal auszusprechen - einen klaren Kontrapunkt zu den Abschottungsideen Trumps darstellt. Der Republikaner hatte im Wahlkampf für einen vorläufigen Einreisestopp für Migranten gesprochen, die aus Nahost-Krisenregionen wie Syrien kommen. Ob und wie Trump daran festhalten wird, ist wie so vieles andere auch noch unklar.Herr Jung, was wird von der Präsidentschaft Obamas bleiben?

Jung: Die Erwartungen waren größer als hinterher der Erfolg. Das muss man einfach sehen. Aber: Die Zusammenarbeit mit Obama war immer vertrauensvoll, auch zwischen ihm und Frau Merkel. Innerhalb der Nato ist er ein berechenbarer Partner gewesen.

Welche Botschaft erwarten Sie von Obamas Berlin-Besuch?

Jung: Ich gehe davon aus, dass er die Europäer beruhigen wird. Sein Signal wird sein, dass die transatlantischen Beziehungen auch in Zukunft eine positive Entwicklung nehmen werden. Sowohl im Rahmen der Nato als auch darüber hinaus. Der Umstand, dass zugleich am Freitag die anderen europäischen Regierungschefs nach Berlin kommen werden zeigt, wie wichtig dies den Europäern ist.

Der künftige Präsident heißt aber Donald Trump . Er sieht das offenbar anders.

Jung: Für die Sorgen in Europa habe ich Verständnis. Deswegen ist es vernünftig, zügig auf den neuen Präsidenten zuzugehen und mit Trump das Gespräch zu suchen. Wir müssen rasch den Dialog führen, um seine Vorstellungen von den transatlantischen Beziehungen zu erfahren.

Wird Obama die Europäer schon vorwarnen, dass von ihnen künftig mehr erwartet wird?

Jung: Davon gehe ich aus. Das liegt auch auf der Hand, und unter einer Präsidentin Clinton wäre dies genauso. Die Probleme, die wir haben, wie in Syrien oder in der Ukraine, liegen alle vor der europäischen Haustür. Deswegen sagt Amerika, da muss sich Europa mehr engagieren. Wir müssen gerade im Bereich der Verteidigungsfähigkeit effektiver werden und viel stärker kooperieren.

Es heißt vielerorts, die Bundeskanzlerin müsse jetzt die freie Welt zusammenhalten. Wie sehen Sie das?

Jung: Alle Gespräche, die ich führe, zeigen mir: Diese Erwartung gibt es in Europa und darüber hinaus. Deutschland ist ein wichtiger Stabilitätsanker. Gerade die Herausforderungen, die wir haben, sind sehr groß. Deswegen kommt es jetzt auch auf Frau Merkel an. Bei der mit Spannung erwarteten Kabinettsbildung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump ist der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani offenbar einer der heißesten Anwärter auf das Amt des Außenministers. "Sein Name wurde sehr ernsthaft als Außenminister genannt", berichtete gestern Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway im Fernsehsender Fox News. "Es ist ein Job, für den er qualifiziert ist und den er außergewöhnlich gut machen würde." Giuliani gilt als einer der engsten Vertrauten von Trump. Er hatte den Milliardär im Wahlkampf anders als viele Republikaner-Kollegen vorbehaltlos unterstützt. Ursprünglich war der 72-Jährige als künftiger Justizminister gehandelt worden. Er selbst hatte zunächst auch im Fernsehen erklärt, dass er sich dieses Amt zutraue. Am Montag dann sagte er aber überraschend bei einer Veranstaltung, dass er nicht das Justizressort leiten wolle. Giuliani war wegen seiner Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung in New York und wegen seines Einsatzes nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einst parteiübergreifend bewundert worden. Bei vielen US-Bürgern hat Giuliani durch seine Allianz mit Trump an Ansehen eingebüßt. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg keine negativen Auswirkungen auf die Schlagkraft der Militärallianz. "Ich bin sicher, dass er ein Präsident sein wird, der alle Bündnisverpflichtungen der USA erfüllen wird", sagte er gestern bei einem Treffen mit den EU-Verteidigungsministern in Brüssel. Er sei voll und ganz überzeugt, dass die Nato auch in Zukunft das Fundament der westlichen Sicherheit bilden werde.

Trump hatte sich in seinem Wahlkampf wiederholt kritisch zur Nato geäußert und sogar das Prinzip der Beistandsverpflichtung infrage gestellt. Zudem fragte er, warum immer die USA die Führungsrolle übernehmen müssten. Für Skepsis sorgte er auch mit seinen Äußerungen über Russland. Am Montag hatte Trump zum ersten Mal nach seinem Wahlsieg mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Beide sprachen sich für ein besseres Verhältnis zwischen beiden Ländern aus. Trumps Seite teilte mit, der Republikaner habe Putin versichert, dass er sich auf eine starke und dauerhafte Beziehung mit Russland freue. Stoltenberg spielte die Bedeutung des Telefonats herunter. Es sei eine ganz normale Sache, dass ein designierter US-Präsident mit anderen führenden Politikern spreche, sagte er. Auch die Nato befürworte den Dialog mit Russland.

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