„Wir brauchen mehr digitales Selbstbewusstsein“

Saarbrücken · IT Gipfel – Deutschland kann die nächste Stufe der Digitalisierung für sich gewinnen. Künftig entscheide nicht mehr die Größe eines Unternehmens über den Erfolg, sondern Schnelligkeit. Auch Gründer werden immer wichtiger, sagt Bundesminister Alexander Dobrindt im SZ-Interview.



Was erwarten Sie sich vom IT-Gipfel in Saarbrücken?
Alexander Dobrindt: Ein klares Signal von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dass wir die Digitalisierung in Deutschland voranbringen, Treiber und Gestalter des digitalen Fortschritts sind und nicht nur Beobachter der rasanten Veränderungen in der Welt.

Worin liegt heute die größte Stärke Deutschlands in der Informationstechnologie (IT)?
Alexander Dobrindt: Deutschland ist das digitale Leistungszentrum in Europa. Wir haben eine Spitzenposition bei digitalen Schlüsseltechnologien. Was jetzt kommt, ist die Vernetzung aller Dinge, von Menschen und Maschinen. Der nächste große Sprung im Bereich der Mobilität ist zum Beispiel das automatisierte und vernetze Fahren. Wir produzieren die innovativsten und attraktivsten Autos der Welt. Um diese Spitzenposition zu halten, entwickeln und testen wir automatisiertes und vernetztes Fahren nicht nur im Labor, sondern im Realverkehr - auf unserem Digitalen Testfeld Autobahn - auf der A9. Dort entsteht ein weltweites Leuchtturmprojekt, die erste volldigitalisierte und vernetzte Straße.

Glauben Sie, dass die Menschen das selbst fahrende Auto wirklich annehmen?
Alexander Dobrindt: Mit Sicherheit, ja. Schon heute nutzen wir den automatischen Bremsassistenten, den digitalen Spurhalter oder andere Assistenzsysteme. Automatisiertes und vernetztes Fahren ist keine Science Fiction, sondern schon bald Realität. Der Verkehr wird dadurch sicherer, effizienter und komfortabler für die Nutzer. Ich bin begeistert von dieser Technologie und habe sie selbst schon häufiger ausprobiert. In fünf Jahren werden hochautomatisierte Fahrsysteme ganz selbstverständlich in den Verkaufsräumen der Automobilkonzerne stehen und auch auf der Straße im Einsatz sein.

Wie kann Deutschland Innovationsführer in der Informationstechnologie bleiben?
Alexander Dobrindt: Wir brauchen mehr digitales Selbstbewusstsein und müssen unseren Wettbewerbsvorsprung digital weiterentwickeln. Wir erleben derzeit einen wachsenden Technologie-Pessimismus. Das passt nicht zusammen. Wir brauchen mehr Vertrauen in unsere eigene Leistungsfähigkeit.

Mit welchen Folgen?
Alexander Dobrindt: Die Wertschöpfungsketten auf der Welt werden gerade neu gestaltet. Jetzt fällt die Entscheidung, ob wir eine Innovationsgesellschaft bleiben oder eine Stagnationsgesellschaft werden. Darum müssen wir die digitalen Schlüsseltechnologien stärken und ein gesünderes Verhältnis zu Daten und Datennutzung entwickeln.

Viele Bürger haben Bedenken gegenüber neuen Technologien und auch Angst vor Datenklau.
Alexander Dobrindt: Datensicherheit hängt auch sehr stark mit der Geschwindigkeit der Entwicklung zusammen. Wir müssen unsere Sicherheitssysteme schneller entwickeln als diejenigen, die unsere Systeme attackieren wollen. Dazu gehört auch die Bereitschaft in Deutschland, Marktführer in der Nutzung digitaler Systeme zu sein. Daten sind der Rohstoff der Digitalisierung und bilden die Grundlage für digitale Wertschöpfung wie auch für den Mehrwert digitaler Anwendungen. In der ersten Phase der Digitalisierung durch die Vernetzung der Menschen über Smartphones und Social Media mussten wir erleben, dass die Wertschöpfung in anderen Regionen der Welt stattfindet, beispielsweise in den USA und in China. Das bedauere ich sehr und das sollte uns nicht wieder passieren. Im nächsten revolutionären Schritt der Vernetzung von Maschinen müssen wir dafür sorgen, dass die Wertschöpfung in Europa bleibt und wir auf Augenhöhe mit den anderen Spielern der Welt agieren.

Wie kann das funktionieren? Müssen wir schneller in der Entwicklung neuer Produkte sein und uns die besten Leute heranziehen? Bisher war Silicon Valley in den USA das große Vorbild. Kann Deutschland die nächste Stufe der digitalen Revolution für sich gewinnen?
Alexander Dobrindt: Ja. Voraussetzung ist, dass wir jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Wir schaffen dafür zum Beispiel im Bereich der Mobilität die bestmöglichen Voraussetzungen, unterstützen mit OpenData und finanzieller Förderung Entwickler und Gründer. Wir stellen mit unserer mCLOUD Terabyte an Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten offen zur Verfügung und geben mit dem mFUND 100 Millionen Euro für die frühe Entwicklung von Mobility-Startups. Wir schaffen dadurch das beste Ökosystem für Startups. Denn Größe alleine ist in einer digitalen Welt nicht entscheidend, sondern die Geschwindigkeit der Entwicklung und die Qualität der Ideen.
Zudem brauchen wir ein neues Wettbewerbsrecht 4.0, das die enge Kooperation zwischen Unternehmen unterstützt, um die Entstehung von wettbewerbsfähigen Digitalkonzernen in Deutschland und Europa zu ermöglichen.

Welchen Schub bringt eine konsequente Digitalisierung für die Produktionsabläufe in Unternehmen?
Alexander Dobrindt: Die Digitalisierung birgt eine Effizienzrevolution. In Deutschland sind europaweit die mit weitem Abstand meisten Industrie-Roboter im Einsatz. Der Umkehrschluss lautet: Wer nicht komplett digitalisiert, der verliert im Wettbewerb um die besten Produkte. Die Digitalisierung wird von der Industrie inzwischen als die Grundlage dafür gesehen, weltspitze zu bleiben. Wichtig ist, dass auch der Mittelstand mit der gleichen Konsequenz in die Digitalisierung seiner Produktionsabläufe und Produkte investiert.

Was ist aus Ihrer Sicht die deutsche Antwort auf Weltkonzerne wie Google?
Alexander Dobrindt: Wichtig ist, dass Deutschland und Europa schneller sind in den zukünftigen Entwicklungen. Wer die Daten hat, der hat die Wertschöpfung. Wer die Daten nutzt, der wird über neue Produkte mehr Wertschöpfung für sich schaffen. Beispiel Autoindustrie: Wir müssen nicht nur die besten Autos bauen, sondern auch die leistungsfähigsten und zuverlässigsten Systeme für das automatisierte und vernetzte Fahren entwickeln.

Was ist die Folge?
Alexander Dobrindt: Wir entscheiden selbst, ob wir bei der stärkeren Vernetzung von Maschinen in der Produktion die Hoheit der Daten behalten und neue Produkte entwickeln wollen. Oder, ob wir zu einer Datenkolonie werden, in der andere unsere Daten absaugen, sie nutzbar machen, neue Produkte entwickeln und uns diese wieder verkaufen. Deutschland braucht eine neue Datenkultur, die Big Data als Chance begreift. Wir müssen weg von der Datensparsamkeit hin zum sicheren und kreativen Datenreichtum.

Sehen Sie da ein Beispiel für ein deutsches Geschäftsmodell, das interessant sein könnte im Zeitalter der Digitalsierung?
Alexander Dobrindt: Die Digitalisierung kennt keine nationalen Grenzen. Unser Ziel muss ein digitaler europäischer Binnenmarkt mit starken Strukturen sein. Die Attraktivität des Silicon Valley in den USA liegt ja gerade darin, dass man sich in einem riesigen Markt mit über 200 Millionen potenziellen Kunden bewegen kann und so sehr schnell Größenvorteile erreicht. Dieses Potenzial kann Europa viel stärker bieten als Amerika heute. Wir haben die Chance auf einen einzigartigen Standortvorteil für Gründer und Startups: Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt - mit über 500 Millionen Menschen. Aber wir müssen die Voraussetzungen für eine schnelle, einfache und unbürokratische Skalierung von innovativen Geschäftsmodellen schaffen.

Geschwindigkeit ist in der Digitalisierung eine der Hauptvoraussetzungen für Erfolg. Sehen Sie Chancen, den Breitbandausbau noch weiter zu beschleunigen?
Alexander Dobrindt: Wir haben die höchste Dynamik im Breitbandausbau in Europa. Mit unserem Bundesförderprogramm haben wir alleine durch die ersten Förderbescheide von 1,3 Milliarden Euro mehr als eine Million Haushalte und Gewerbe ans superschnelle Breitband gebracht. Wir werden unser Ziel erreichen, im Jahr 2018 flächendeckend 50 Mbit zur Verfügung zu stellen. Darauf aufbauend müssen wir die neuen Anforderungen an die Netze entwickeln. Die zukünftigen Netze müssen echtzeitfähig und intelligent sein, nicht nur Daten transportieren, sondern selber Daten verarbeiten und als Produkt anbieten.

Was müssen Wirtschaft und Unternehmen einbringen, um den Standort Deutschland schneller voranzubringen?
Alexander Dobrindt: Das Ganze ist eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen Forschung, Wirtschaft und Politik. In den nächsten zehn Jahren werden sich Wirtschaft und Gesellschaft so stark verändern wie vorher während einhundert Jahren nicht. Es muss dieser Gemeinschafts-Initiative gelingen, den neuen Wettbewerb in der Welt anzunehmen. Im 19. Jahrhundert haben Nationalstaaten um Kolonien konkurriert, im 20 Jahrhundert Industrienationen um Rohstoffe. Heute konkurrieren Innovationsgesellschaften um Digitalität und Daten. Deutschland muss bei der global-digitalen Entwicklung vorangehen, um auch künftig Wohlstand, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

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