Kohle-Ausstieg liegt in ferner Zukunft

Atterwasch. Der Kohleabbau frisst sich immer näher an den Bauernhof von Ulrich Schulz heran. "Seit 1500 und nen bisschen sind wir hier", sagt der Landwirt und Ortsvorsteher des Dorfes Atterwasch bei Cottbus. Er klingt resigniert. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sein Hof abgebaggert, wie es in der Fachsprache heißt

Atterwasch. Der Kohleabbau frisst sich immer näher an den Bauernhof von Ulrich Schulz heran. "Seit 1500 und nen bisschen sind wir hier", sagt der Landwirt und Ortsvorsteher des Dorfes Atterwasch bei Cottbus. Er klingt resigniert. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sein Hof abgebaggert, wie es in der Fachsprache heißt. Dutzende Meter unter dem Hof liegt eine zehn Meter dicke Braunkohleschicht. Schulz selbst setzt auf Solarenergie für seinen Hof. Er kann sicher nichts dafür, dass in Deutschland noch rund 42 Prozent des Stroms aus Kohle erzeugt werden - das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie Atomkraft an der Stromerzeugung hat.Wenn Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Kürze sein Konzept vorlegt, wie sich der Energiemix bis 2050 entwickeln soll, wird auch Kohle erstmal noch weiter dabei sein. Umweltschützer kritisieren, dass trotz des klimaschädlichen Kohlendioxid-Ausstoßes Konzerne wie Eon, RWE und Vattenfall massiv in diese Technik investieren und damit die Energiewende und vor allem die deutschen Klimaziele blockieren. In Deutschland befinden sich laut Greenpeace 23 Kohlekraftwerke im Bau und in Planung. "Diese Kohlekraftwerke würden jährlich mehrere Millionen Tonnen CO2 zusätzlich ausstoßen", sagt Greenpeace-Kohleexpertin Anike Peters. 15 andere geplante Kohlekraftwerke wurden bislang laut Greenpeace verhindert. Im Saarland stimmten die Bürger von Ensdorf gegen den Bau eines Doppelkraftwerkes. Auch Atterwaschs' Ortsvorsteher Schulze würde gerne dem Ausbau der Kohlekraft in der Lausitz einen Riegel vorschieben. Rund 500 Rinder hat er und 40 000 Hühner. Dazu 500 Hektar bewirtschaftete Fläche. Er versucht, die Angst vor dem Tag X zu verdrängen. Ab etwa 2025 sollen die drei Orte Atterwasch, Kerkwitz und Grabko mit insgesamt 900 Einwohnern den Kohlebaggern weichen. Es wäre die größte Umsiedlung in der Lausitz seit dem Fall der DDR. Rechtliche Mittel gegen die Zwangsumsiedlung sehe er keine, sagt Schulze. Der Griff nach der Kohle folge schließlich einem vom Land Brandenburg so definierten übergeordneten Interesse. Auf der anderen Straßenseite hängt am Eingang der erstmals 1294 erwähnten Dorfkirche aus rotem Backstein ein Banner: "Unser Beitrag zum Klimaschutz: Atterwasch bleibt." Im Vorraum lehnt ein Transparent an der Wand: "Wollt ihr eure Ostereier in Zukunft in der Kohlegrube suchen?" An der Straße zum knapp fünf Kilometer entfernt gelegenen Kerkwitz ist zu lesen: "Nutzt Sonne, Wasser, Wind und lasst die Menschen und Tiere, wo sie sind." Das Unternehmen Vattenfall betont, dass man bei Umsiedlungen sehr großzügig und im Dialog mit den Bürgern entschädige. Der Konzern hat die Region in Kataster eingeteilt, es gibt geologische Kohlevorräte für 200 Jahre. "Der Kohleausstieg ist für uns kein Thema", sagt Lutz Picard vom 70 Kilometer entfernt liegenden Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe.Warum wird trotz der vom Bund angestrebten deutlichen Senkung der CO2-Emissionen weiter so viel Kohle verbrannt? Der Grund ist vor allem der Preis. Kohle ist neben Atom der billigste Energieträger: Eine Kilowattstunde Strom kostet in der Erzeugung unter fünf Cent. Vattenfall beschäftigt rund 5000 Menschen in Brandenburg, zudem bringen die Kohlekraftwerke hohe Steuereinnahmen für Land und Kommunen. Der Konzern tritt in der Region vielfach als Großsponsor auf. In Brandenburg wird zugleich die ganze Widersprüchlichkeit beim Thema Energie der Zukunft deutlich. Das Land setzt auch massiv auf die Erneuerbaren, hier steht auf einer Fläche von mehr als 200 Fußballfeldern einer der weltweit größten Solarparks. Die produzierte Energie reicht für eine Kleinstadt - mit Kohle kann der Solarpark aber nicht konkurrieren. Bis 2020 könnte Brandenburg zwar den eigenen Energiebedarf mit Erneuerbaren stillen, schätzt Thomas Burchardt, der im bereits umgesiedelten Neu-Horno lebt und gegen die Auswirkungen des Braunkohletagebaus in der Region kämpft. Berlins Energiehunger wird aber weiter vor allem mit Kohle gestillt werden.Vattenfall versucht der Kritik zu begegnen und will mit einer 70-Megawatt-Pilotanlage am Kraftwerk Schwarze Pumpe die CO2-Abscheidung zur Serienreife bringen. Für das Unternehmen hat das Ganze auch finanzielle Gründe: Steigt im Zuge des Emissionshandels der Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 auf über 30 Euro, wäre es wohl billiger, abgetrenntes Kohlendioxid zu verflüssigen und im Boden zu verpressen. Die Zukunft der Energie sieht Vattenfall-Experte Picard trotz des Booms bei Sonne- und Windenergie in "sauberer Kohle" und betont: "Wir wollen klimafreundlicher werden."

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