Gnadenlos verfolgt

2014 war ein schreckliches Jahr für die Christen im Orient. Unter dem Vorstoß der IS-Miliz litten vor allem Gläubige in Syrien und im Irak.

Die grausamen Bilder gingen im Sommer um die Welt: Zehntausende Menschen, von Hunger und Durst geplagt, harrten in einem Gebirgszug im Nordirak bei über 40 Grad Celsius aus. Sie wurden von Dschihadisten belagert und warteten auf Hilfe, die zunächst nicht kam. Ihre Lage wurde von Tag zu Tag dramatischer, einige Kinder und Ältere verdursteten. Bei den Flüchtlingen handelte es sich um kurdische Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit, die von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) als "Teufelsanbeter" verfolgt wurden. Inzwischen, mehr als vier Monate später, sind auch die letzten Flüchtlinge aus der Sindschar-Region gerettet.

In der nordirakischen Stadt Mossul bemalten Anhänger der radikalislamischen Miliz Wohnhäuser mit einem großen scharlachroten "N". Der Buchstabe weist hin auf "Nasara" - Nazarener. So nennen die IS-Dschihadisten Christen .

Das Stigma auf den Häusern war eine Warnung: Verlasst Mossul, konvertiert zum Islam oder zahlt uns Schutzsteuern. Wer sich nicht beugt, muss mit dem Tod rechnen. Die sunnitischen Extremisten hatten Mossul Anfang Juni eingenommen. Noch bevor sie jedes Haus mit einem "N" beschmiert hatten, setzte ein Massenexodus ein. Mindestens 300 000 Christen flohen nach UN-Angaben binnen eines Monats aus Mossul und der umliegenden Provinz Ninive in die kurdischen Gebiete des Nordiraks.

Für orientalische Christen steht das Jahr 2014 im Zeichen von Vertreibung und Verfolgung. Auf dem Weltverfolgungsindex des christlichen Hilfswerks Open Doors nehmen Syrien und der Irak - wo es seit jeher große und alte Gemeinden gab - den dritten und vierten Platz ein. Schlimmer wird dem Index zufolge nur in Nordkorea und Somalia gegen Christen vorgegangen.

Die meisten irakischen Christen sind Angehörige der chaldäischen Kirche, einer urchristlichen Glaubensgemeinschaft. Der Irak gilt bis heute als ihr Zentrum. Die chaldäische Kirche geht auf die ersten christlichen Gemeinden zurück, die vor fast 2000 Jahren in Mesopotamien - dem heutigen Irak - entstanden. Nach Jahren der Isolierung unterstellten sie sich im 17. Jahrhundert dem Papst und wurden Teil der römisch-katholischen Kirche. Vor 2003 lebten noch rund 1,2 Millionen Christen im Irak - viele von ihnen im Norden des Landes. Zuletzt wurde ihre Zahl auf 500 000 geschätzt, sie dürfte aber noch deutlich weiter gesunken sein.

Auch in Syrien steht es schlecht um die Christen . Vor dem Bürgerkrieg waren knapp zehn Prozent der mehr als 20 Millionen Einwohner des Landes Christen . Sie konnten damals ihre Religion weitgehend ungehindert praktizieren. Weil sich die christlichen Gemeinden aber nicht am Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad beteiligten, wurde auch die religiöse Minderheit zur Zielscheibe islamistischer Rebellen.

Zeitweise war die berühmte Christen-Enklave Maalula nahe Damaskus mit ihren historischen Klöstern und Kirchen heftig umkämpft und belagert. Inzwischen ist ein großer Teil der Bevölkerung auf der Flucht, nur noch wenige Christen sind im Land. Regelmäßig gibt es Meldungen über Entführungen oder die Ermordung von Christen .

Sicherer schien es zunächst für die Kopten in Ägypten, nachdem der damalige Militärchef und heutige Präsident Abdel Fattah al-Sisi den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013 abgesetzt hatte. Seit dem Arabischen Frühling 2011 gab es regelmäßig religiös motivierte Übergriffe auf koptische Christen , oft mit tödlichem Ausgang. Die koptische Kirche ist heute die größte christliche Gemeinschaft im Nahen Osten: Unter den 80 Millionen Ägyptern leben sieben bis zwölf Millionen Kopten. Doch auch sie sind unter Al-Sisi keineswegs sicher. Längst kritisieren Menschenrechtler, der neue Präsident gebe sich - um bei konservativen Ägyptern zu punkten - "islamischer als die Islamis ten".

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