Einer für alle

Mutter stellt Chips und Nüsse aufs Tischchen, Vater bringt Bier, Wein und Saft. Die Kinder dürfen, weil sie ihren Nachmittagsschlaf gehalten haben, heute länger fernsehen. Denn Wetten, dass . . ? steht auf dem Programm, die Kinder-Erwachsenen-Sendung. In erwartungsvoller Andacht sitzt das Quartett vor dem Fernseher, generationenübergreifend hat man etwas Gemeinsames

 Ein Küsschen als Trostpflaster? Michelle Hunziker herzt Thomas Gottschalk in der Sendung vom 5. November. Foto: Koch/dpa

Ein Küsschen als Trostpflaster? Michelle Hunziker herzt Thomas Gottschalk in der Sendung vom 5. November. Foto: Koch/dpa

Mutter stellt Chips und Nüsse aufs Tischchen, Vater bringt Bier, Wein und Saft. Die Kinder dürfen, weil sie ihren Nachmittagsschlaf gehalten haben, heute länger fernsehen. Denn Wetten, dass . . ? steht auf dem Programm, die Kinder-Erwachsenen-Sendung. In erwartungsvoller Andacht sitzt das Quartett vor dem Fernseher, generationenübergreifend hat man etwas Gemeinsames. Seit 1987 beglückt der Glücksbringer Thomas Gottschalk Deutsche, Schweizer und Österreicher mit dem Unterhaltungsfernsehen der herkömmlichen Art. Eine Generation lang. Einer redet, alle nicken, lachen und klatschen. Dann eine Unterbrechung musikalischer oder anderer Art. Danach redet der Eine wieder, alle nicken und klatschen. Diese Ära geht jetzt möglicherweise mit Gottschalks letzter Sendung zu Ende.Nie wieder werden uns Megastars so nahe sein, Knie an Knie auf der Halbrundcouch neben dem aufgezäumten Gockel in seiner neuesten Schneiderkreation, jedes Mal exzentrisch. Ob Anna Netrebko, Oliver Kahn oder Sophia Loren, Take That oder Udo Lindenberg, Madonna, Michael Jackson oder Elton John. Alle kamen, wenn Gottschalk rief, eine Millionenquote und ordentliche Auftrittsgage versprach. Ein, höchstens zwei Lieder mussten sie darbieten, ein bisschen plaudern, kichern und rumalbern, eine Wette abschließen, von der die meisten erst auf der Couch erfuhren, worum es überhaupt geht. Dann durften sie wieder zum Privatjet, viele der Superstars waren längst außer Landes, wenn die Sendung noch lief und Mutter, Vater und Kindern das Gefühl bescherte, Zeuge von etwas Großem gewesen zu sein. Fernsehen als Egalitätswalze, als letztes großes verbindendes Familienereignis.

Mit "Wetten, dass..?" war das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch, was es immer sein wollte: Fernsehen für alle. Die Privaten hätten mit ihren lachhaften Konkurrenz-Veranstaltungen zu dieser Sendezeit abschalten können, die ZDF-Programminsel am Samstagabend überstrahlte jede Alternative.

Gottschalk war es offenbar in die Wiege gelegt, Unterhaltungs-Titan zu werden, Quoten-Gigant und Liebling der Fernsehzuschauer von der Großmutter bis zum Enkel. Thomas Gottschalk, 61, stieß seinen ersten Schrei am 18. Mai 1950 in Bamberg aus, er muss schon kräftig gewesen sein. Der Sohn des Rechtsanwalts Hans Gottschalk und seiner Frau, die zum Kriegsende aus Oberschlesien nach Franken geflüchtet und in Kulmbach ansässig geworden waren, fiel früh auf mit Entertainerqualitäten. In der Schulklasse war er die Betriebsnudel, die Katholiken im Ort erfreuten sich am munteren Ministranten, und als er 1971 am humanistischen Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach sein Abitur ablegte, war er längst Nachhilfelehrer und DJ in Tanzlokalen, umtriebig und geschäftstüchtig.

Affären und Exzesse sind nicht bekannt. Bei Jung-Thomas waren es nicht Drogen und Frauengeschichten, sondern immer die große Klappe, die ihm alle Türen öffnete. Was kann Gottschalk, was andere nicht können? Das Dampfplaudern beherrscht er perfekt, die Selbstinszenierung. Nur dieser Dauerredner konnte "Wetten, dass . . ?" eine solche Sogwirkung verschaffen, und nur mit dieser Sendung ist ihm das gelungen. Es ist die Symbiose aus dem Du-auf-Du mit Weltstars und dem Saalpublikum, das den Kick verursacht - beim Zuschauer wie beim Moderator.

Der Multimillionär hat Welten vereint, die vorher nebeneinander existierten. Er ist einer für alle und alterslos mit blonden Haaren und Cowboystiefeln.Thomas Gottschalk wird nicht vom Bildschirm verschwinden. Ab 23. Januar läuft seine fast tägliche Show "Gottschalk live" in der ARD.

Sollte er scheitern, hat er eine Alternative. "Es gibt einen Plan B. Und der heißt Rentner in Malibu", sagt Gottschalk. Dabei grinst er, weil er weiß, dass ihm niemand glaubt. "Es gibt einen Plan B: Rentner in Malibu."

Thomas Gottschalk

Auf einen Blick

Die ZDF-Sendung "Wetten, dass . . ?" gilt als Europas erfolgreichste Fernsehshow. Die erste Ausgabe kam am 14. Februar 1981 aus Düsseldorf, präsentiert von ihrem Erfinder Frank Elstner. Bislang gab es 198 Ausgaben: Elstner moderierte 39, Wolfgang Lippert neun und Thomas Gottschalk 150.

In den Sendungen wurden bislang mehr als 1100 Wetten gezeigt, nur 300 davon haben die Wettkandidaten verloren.

 Reingelegt: Bernd Fritz behauptete 1988, er könne Buntstifte am Geschmack erkennen - dabei sah er unter der Brille durch. Foto: dpa

Reingelegt: Bernd Fritz behauptete 1988, er könne Buntstifte am Geschmack erkennen - dabei sah er unter der Brille durch. Foto: dpa

In Saarbrücken war "Wetten, dass . . ?" insgesamt zwölf Mal zu Gast. Das bedeutet Platz zwei in der Liste der Städte mit den meisten Shows, hinter Basel (13). In der ersten Show aus der Saarlandhalle waren unter anderem Agnetha Fältskog von Abba und Schauspielerin Ingrid Steeger zu Gast - in der letzten 1999 Michael Jackson. Doch der Auftritt des "King of Pop" enttäuschte. Er brachte kaum ein Wort heraus und verschwand nach zehn Minuten wieder. dpa/red

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