Einblick in die Tiefen des Gehirns

Brüssel. Wissenschaftler bekommen bei diesem Projekt glänzende Augen. 200 000 Neuro-Experten arbeiten weltweit an der Erforschung des Gehirns, 60 000 Facharbeiten erscheinen jedes Jahr - und doch hat die Wirkungsweise bis heute niemand vollständig verstanden

Brüssel. Wissenschaftler bekommen bei diesem Projekt glänzende Augen. 200 000 Neuro-Experten arbeiten weltweit an der Erforschung des Gehirns, 60 000 Facharbeiten erscheinen jedes Jahr - und doch hat die Wirkungsweise bis heute niemand vollständig verstanden. Aber nun schickt sich die internationale Forscher-Gemeinschaft an, auch die letzten Geheimnisse aufzudecken: Das "Human Brain Project" (Menschliches-Gehirn-Projekt) wurde von der EU gestern als eines von zwei Spitzenvorhaben auserkoren, die in den kommenden zehn Jahren die höchste je gewährte Forschungsförderung erhalten. "Wir wollen die vorhandenen Teile unseres Wissens über das Gehirn zusammenführen und Lücken schließen", sagt Projektleiter Henry Markram von École Polytechnique Fédérale im schweizerischen Lausanne.Neelie Kroes, Vizepräsidenten der EU-Kommission, gab gestern den lange erhofften Startschuss für die beiden "Flaggschiffe" europäischer Forschung, die nunmehr auf je 54 Millionen Euro schon 2013 rechnen können. Danach legen die EU sowie weitere Unterstützer zusammen, so dass sich der Förderbetrag am Ende auf eine Milliarde Euro summieren dürfte. Für jeden. Denn beide Vorhaben gelten als weltweiter Quantensprung der Wissenschaften. Es geht um ein Produkt der Natur, dass in jeder Sekunde ein Terrabyte Daten verarbeiten kann, die unsere fünf Sinne ständig und gleichzeitig heranschaffen.

Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns übersteigt jeden Supercomputer. Darüberhinaus kann es Schäden selbst reparieren und jederzeit auf ein gewaltiges Gedächtnis gespeicherter Informationen zurückgreifen. Zusätzlich ist es kreativ und in der Lage, sogar mit unvollständigen Daten Entscheidungen zu treffen. Und trotzdem verbraucht es nur gerade mal 20 Watt an Energie, weniger als jeder Laptop. All das wollen die beteiligten Wissenschaftler nun durch ein Netz von Supercomputern nachbauen - von den kleinsten Neuronen bis hin zu den komplexen elektrischen und chemischen Signalen. Neurowissenschaft, Psychologie, Philosophie, Robotik und Technik würden revolutioniert, heißt es. Die Pharmazeutik könnte auf weitgehend neue Füße gestellt werden. Bisher noch kaum denkbare Roboter ließen sich entwickeln, die mit der Kraft der Gedanken gesteuert werden - eine Hoffnung auch für viele Menschen, die mit Behinderungen leben müssen. Dass am Ende neue Wege zur Heilung von Alzheimer und Parkinson, möglicherweise aber auch von psychischen Erkrankungen zu erwarten sind, hoffen alle Beteiligten. Rund 100 Organisationen weltweit, darunter auch bedeutende Forschungslabors aus Deutschland, sind beteiligt. "Europas Position als Supermacht des Wissens hängt davon ab, wie es uns gelingt, das Undenkbare zu denken und die besten Ideen zu verwirklichen", betonte Kommissions-Vize Neelie Kroes gestern in Brüssel.

Tatsächlich dürfte auch das zweite ausgezeichnete Forschungsvorhaben diese Ehre verdienen. "Graphene" gilt als Wundermaterial. 2004 wurde die Atomschicht dünne, wabenförmige Kunststoff-Struktur erstmals entwickelt. Sie weist Eigenschaften auf, von denen Wissenschaftler bisher nur träumen konnten. Denn das Produkt gilt als das dünnste, steifste und stärkste bekannte Material (200 mal stabiler als Stahl). Es besitzt die höchste Wärmeleitfähigkeit, ist absolut undurchlässig für Gase und leitet bei Raumtemperatur elektrischen Strom besser als alle anderen Stoffe. Die Einsatzmöglichkeiten seien, so hieß es gestern in Brüssel, unbegrenzt. Denn es gehe nicht nur um mobile Geräte wie Handys, die deutlich länger mit Energie versorgt werden könnten, sondern auch um medizinische Hilfsmittel wie Herzschrittmacher, deren Batterie nicht mehr ausgewechselt werden müssten.

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