Der Weckruf zeigt Wirkung

Mit ihren Schulleistungen können sich 15-Jährige in Deutschland auch im neuen internationalen Pisa-Vergleich recht gut im Mittelfeld behaupten – wie schon beim Test 2009. Doch die gestern vorgestellte OECD-Untersuchung fördert zugleich auch neue Dinge aus dem Innenleben deutscher Schulen zutage, die bislang nicht so bekannt waren: So erscheinen hierzulande die Schüler viel pünktlicher zum Unterricht als in den meisten anderen Industriestaaten, schwänzen viel seltener und haben zu 90 Prozent ein Zugehörigkeitsgefühl zu „ihrer“ Schule entwickelt.

Und 70 Prozent der Schüler glauben, dass im Grunde genommen an ihrer Schule "alles sehr gut läuft".

Zudem waren es nicht die Einser-Kandidaten, die Deutschland ein gutes Zeugnis bei der Pisa-Studie beschert haben, sondern die "Problemschüler", die sich hochgearbeitet haben.

In Mathematik, bei den Naturwissenschaften und in der Lese-Kompetenz haben sich die gemessenen Leistungen an den deutschen Schulen im Vergleich zur ersten Erhebung 2000 deutlich nach oben entwickelt. Das haben Schüler erreicht, die früher ein "mangelhaft" hatten und jetzt vielleicht eine "drei minus". In Mathematik etwa haben die zehn Prozent der leistungsschwächeren Kandidaten über 20 Wertungspunkte mehr erreicht als noch 2003. Insgesamt hat Deutschland weniger schlechte Mathe-Schüler als noch vor zehn Jahren. Der Wert ging um vier Prozentpunkte zurück, so die Studie, die gestern in Berlin vorgestellt wurde.

Schüler mit größeren Schulschwierigkeiten kommen, so die Wissenschaftler, in Deutschland noch immer oft aus sozialschwachen Elternhäusern oder sie haben einen Migrationshintergrund. Doch auch gerade diese Klientel hat beachtlich aufgeholt. Die sogenannten "herkunftsbedingten Unterschiede" haben im Bildungsweg eine geringere Auswirkung als noch vor zehn Jahren. Ein 15-jähriger Schüler mit Migrationshintergrund hat in Deutschland durchschnittlich eine geringere Mathe-Kompetenz als sein deutschstämmiger Mitschüler. Doch insgesamt hat sich der Abstand zueinander seit 2003 deutlich verringert. Der Schüler mit ausländischen Wurzeln hat in Deutschland statistisch gesehen etwa das gleiche Mathe-Leistungsniveau, das durchschnittlich bei einem 15-Jährigen in Schweden oder den USA gemessen wird.

Das Pisa-Ergebnis ist insgesamt deswegen für Deutschland so wertvoll, weil mit der Leistungssteigerung kein Auseinanderklaffen von oben und unten verbunden ist, sondern ganz im Gegenteil die Bildungsrepublik sozusagen näher zusammen rücken konnte. Sachsen-Anhalts Kultusminister und Präsident der Kultusministerkonferenz, Stephan Dorgerloh (SPD), lobt daher zugleich das "Mehr an Bildungsgerechtigkeit und Bildungsqualität". Als Ursache benennt er den "langen Atem" der Bildungspolitik. Auch die Studie sieht weniger, dass große Reformen für die Verbesserung verantwortlich sind; vielmehr sei das Bildungssystem weitgehend stabil geblieben und dennoch habe sich diese Aufholjagd im Leistungsspektrum der Länder erreichen lassen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sprach von einem "Weckruf", den die erste Pisa-Studie im Jahr 2000 ausgelöst habe. Die Studie stellt fest, dass der "Schock" von 2000, als Deutschland so schlecht abgeschnitten hatte, "die Wahrnehmung von Schule und deren Stellenwert kräftig verändert" habe. Dies sei ein Grund für den Erfolg. Insbesondere habe die Einführung bundesweit geltender Bildungsstandards mit Verfahren der Qualitätssicherung die Kehrtwende gebracht, erläutert der deutsche Leiter der Pisa-Studie, der Bildungsforscher Manfred Prenzel. Außerdem stellt die Studie fest, dass in Deutschland benachteiligte Schüler etwa mehr Mathe-Unterricht bekommen als nicht benachteiligte Schüler, dass es somit eine spezifische Förderung gibt. Dies sei in vielen anderen Ländern geradezu umgekehrt.

Als eine zentrale Folgerung benennen nun Kultusministerkonferenz und Bildungsministerium, dass auch die Spitzengruppe nicht vernachlässigt werden dürfe. Dorgerloh gibt als Ziel an, dass bis 2015 rund 20 Prozent der deutschen Schüler zur Besten-Gruppe gehören sollen. Außerdem wird beklagt, dass es in Mathematik große geschlechterspezifische Unterschiede gebe. Vor allem Mädchen mache Mathe immer noch Angst.

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