Das Rätsel um Flug MH370

Peking · Die Verzweiflung der Familien steigt mit jedem Tag der Suche nach der vermissten Boeing 777-200. Verschwörungstheorien kommen auf. Und Angehörige verdächtigen die Ermittler, ihnen nicht die Wahrheit zu sagen.

Eine Woche zwischen Verzweiflung und Hoffnung hat ihn gezeichnet. Sein Sohn war in der Boeing 777-200 auf dem Weg nach Peking. Seit die Maschine verschwunden ist, harrt der Vater in einem Hotel in Chinas Hauptstadt zusammen mit anderen Angehörigen aus.

Mit dunklen Augenringen und voller Wut spricht er zu Journalisten. "Das ist doch eine Verschwörung", ruft er. "Die modernen Flugzeuge stecken doch voller Messinstrumente. Wie können die Behörden plötzlich entdecken, dass die Boeing noch sieben Stunden unterwegs war?"

Auf einer großen Leinwand hat die Fluggesellschaft Malaysia Airlines wenige Minuten kurz zuvor die Pressekonferenz des malaysischen Ministerpräsidenten Najib Razak aus Kuala Lumpur live übertragen. Rund zwei Drittel der Passagiere waren Chinesen, viele Angehörige warten in Peking. Razak sagte, das Militär habe noch etwa sieben Stunden nach dem letzten Kontakt der Bodenstation zur Boeing ein Signal aufgefangen. Zuvor habe vermutlich jemand gezielt die Kommunikation des Flugzeugs abgeschaltet. "Diese Schritte lassen auf eine absichtliche Handlung von jemandem an Bord schließen", sagte Razak. Berichte über eine Entführung wollte er aber nicht bestätigen.

Der Luftfahrtexperte Zhang Qihuai ist pessimistisch. "Egal ob es eine Entführung gab oder nicht, ich gehe davon aus, dass das Flugzeug abgestürzt ist", sagt er in Peking. Premier Razak hatte eine mögliche Flugroute über das nördliche Thailand bis nach Kasachstan und Turkmenistan ins Spiel gebracht. "Das Militär vor Ort hätte aber jedes fliegende Objekt zu hundert Prozent erfasst", sagt Zhang.

Viele Angehörige trauen den Behörden nicht mehr. "Die verschweigen etwas! Die lügen!", sagt eine Frau, als sie wutentbrannt aus dem Präsentationsraum des Hotels in Peking stürmt.

"Die Informationen aus Malaysia sind nichts wert", klagt eine andere Frau. So oft hätten sich die Regierungsvertreter schon gegenseitig widersprochen. Malaysia habe jegliches Vertrauen verspielt.

Chinas Staatsfernsehen hatte die Spekulationen über eine Entführung angetrieben. Eine nicht näher genannte Quelle habe bestätigt, dass die Ermittler von einem Kidnapping des Malaysia-Airlines-Fluges ausgingen. Das hatte ein Moderator des Senders CCTV noch Minuten vor dem Auftritt von Premier Razak aus Kuala Lumpur berichtet.

Angehörige fragen sich erschüttert, was die 239 Menschen an Bord der Maschine noch in den sieben Stunden Flug fernab der ursprünglichen Route durchgemacht haben könnten.

Ein Mann schöpft aus den neuen Informationen aus Kuala Lumpur aber auch neue Hoffnung. "Das könnte auch ein gutes Zeichen sein", sagt er. Denn vielleicht seien nicht alle Passagiere bei einem Absturz über dem Meer ums Leben gekommen. Schließlich hatte der Ministerpräsident Kasachstan und Turkmenistan erwähnt.

Eine Landung sei theoretisch möglich, meint Luftfahrtexperte Zhang: "Ein erfahrener Pilot kann solch ein Flugzeug auch ohne elektronische Hilfsmittel landen." Aber die Frage sei, wie lange die Boeing überhaupt noch in der Luft bleiben konnte. "Aus Kostengründen werden die Flugzeuge in der Regel nur mit gerade ausreichend viel Kerosin für ihr Ziel betankt", sagt Zhang.

Es sei auch kein großes Problem, die Kommunikation eines Flugzeuges auszuschalten. "Die Geräte lassen sich einfach deaktivieren", so Zhang. Neue Hoffnung auf eine Rettung der Passagiere sei überzogen. "Trotz aller Spekulationen gehe ich kaum von einer Chance aus, die Menschen an Bord noch lebend zu finden."Wer hat Flug MH370 vorsätzlich manipuliert und ist stundenlang weitergeflogen? Terroristen im Stil der Anschläge auf New York 2001, die eigens das Fliegen gelernt hatten? Bislang sind nur zwei Männer an Bord bekannt, die eine Boeing fliegen konnten: der Pilot und der erste Offizier.

Pilot Zaharie Ahmad Shah (52): Der glatzköpfige Kapitän hat nach Angaben der Airline seine ganze Berufslaufbahn bei Malaysia Airlines absolviert. In 33 Dienstjahren kam er auf 18 365 Flugstunden. Privat kommt der Mann in im Internet selbst geposteten Videos, wie in Filmen, die seine Freunde und Verwandten hochgeladen haben, als jovialer, sympathischer "Mann von nebenan" rüber. Zu sehen ist dabei auch der Flugsimulator, den er zu Hause hatte.

Was macht ein Pilot, der so viel Flugerfahrung hat, mit einem Simulator? "Er wollte Freunde an der Lust am Fliegen teilhaben lassen", zitiert die Zeitung "South China Morning Post" den Freund Peter Chong. Jeder Pilot könne seinen Hobbys frei nachgehen, sagte Malaysia Airlines Chef Ahmad Jauhari Yahya auf die Frage, wieso der Pilot einen Simulator hatte. Shah ist malaysischen Medienberichten zufolge verheiratet und hat drei erwachsene Kinder sowie ein Enkelkind. Er gilt als leidenschaftlicher Hobbykoch.

Erster Offizier Fariq Abdul Hamid (27): Auch der junge Copilot war von Anfang an bei Malaysia Airlines, er startete seine Karriere dort nach Angaben der Fluggesellschaft vor sieben Jahren. Er hatte 2763 Flugstunden hinter sich und war erst vor kurzem auf die Boeing 777 umgestiegen. Er sei der Sohn eines einflussreichen Beamten, schreibt die Lokalpresse, eines von fünf Kindern, und wollte bald heiraten. "Er ist ein guter Sohn, fromm, und er respektiert die Älteren", zitieren Lokalmedien seine Großmutter Halimah Abdul Rahman. Vergangene Woche machten Berichte über Hamid und seine Flirtereien mit zwei Frauen im Cockpit Schlagzeilen. 239 Menschen, 239 Schicksale. Einige Geschichten der Menschen an Bord der in Südostasien verschwundenen Boeing 777-200 wurden in den vergangenen Tagen bekannt:

Zu den 153 Chinesen an Bord zählt eine Gruppe von 18 chinesischen Künstlern, wie die Nachrichtenagentur China News berichtete. Sie waren auf dem Rückweg von einer Ausstellung in Kuala Lumpur. Der texanische Halbleiterhersteller Freescale Semiconductor teilte mit, dass 20 seiner Angestellten an Bord waren, zwölf aus Malaysia und acht aus China. Drei der sechs Inder an Bord gehörten einer Familie aus Mumbai an. Bei den vier Franzosen an Bord handelt es sich Medien zufolge um eine Mutter mit ihrer 14 Jahre alten Tochter, ihrem 17 Jahre alten Sohn und dessen Freundin. Sie hatten zusammen Urlaub in Malaysia gemacht und wollten zurück nach Peking, wo der 17-Jährige noch sein Abitur machen wollte.

Zwei der drei Menschen mit US-Pass an Bord sind Kleinkinder - ein Zweijähriger und ein vier Jahre altes Mädchen der Passagierliste zufolge. Sie reisten möglicherweise in Begleitung von Eltern mit doppelter Staatsbürgerschaft. Ganz andere Motive hatten bisherigen Erkenntnissen nach zwei junge Iraner, die mit gestohlenem italienischen beziehungsweise österreichischem Pass eincheckten: Wahrscheinlich hätten die beiden nach Deutschland auswandern wollen, berichtete die malaysische Polizei.

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