EU-Mitgleidschaft für Südosteuropa Warum die EU den Balkan nicht vergessen darf
Düsseldorf · Wenn in der Politik von „Balkanisierung“ die Rede ist, bedeutet das nichts Gutes. Dann geht es um den Zerfall von Ordnung, Anarchie und Chaos.
Der Balkan hat in Westeuropa ein gewaltiges Image-Problem. Er gilt als ewiger Schauplatz von Kriegen und ethnischen Konflikten, krassem Nationalismus und wirtschaftlicher Rückständigkeit. Als hoffnungsloser Fall. Trotzdem betont die EU: Der Balkan gehört zu uns. Bereits vor 15 Jahren wurde den Ländern der Region sogar eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Passiert ist seither aber nicht viel, und genau das wird zum Problem.
Es stimmt, die Balkanländer sind bis heute wirtschaftlich rückständig, werden häufig autoritär regiert, kämpfen mit Korruption und mafiösen Strukturen. Von westeuropäischen Mindeststandards sind sie noch meilenweit entfernt. Aber die Lage verbessert sich allmählich. Und Länder wie Mazedonien und Albanien, die darauf hoffen, dass sie im kommenden Jahr mit der EU Beitrittsgespräche aufnehmen dürfen, haben in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. Fortschritte, die nach Überzeugung aller Beteiligten ohne die EU-Perspektive und den politischen Druck aus Brüssel völlig undenkbar gewesen wären. Beide Länder haben aus Sicht der EU-Kommission ihre Hausaufgaben bisher so gut gemacht, dass einer Aufnahme von Beitrittsverhandlungen 2019 nichts mehr im Wege stünde. Doch in einigen Mitgliedstaaten, allen voran in Frankreich, aber auch in Deutschland oder den Niederlanden, herrscht offenes Misstrauen gegenüber dieser Einschätzung.
Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist die Sorge nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass die EU erneut Mitglieder aufnehmen könnte, die die nötige Beitrittsreife noch nicht erreicht haben. Und, seien wir ehrlich, gerade im Falle Albaniens spielen auch Ressentiments gegen den Islam eine Rolle. Es wäre aber kurzsichtig, die Balkanländer wegen solcher Vorbehalte weiter vor den Toren Europas schmoren zu lassen. Hier geht es auch um unsere Sicherheit. Und nebenbei um handfeste wirtschaftliche, militärische und strategische Interessen. Russland, die Türkei, neuerdings auch China, Saudi-Arabien und Katar haben das längst begriffen und versuchen ihren Einfluss auf dem Balkan auszuweiten.
Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit: Europa ist für viele Menschen in der Region der Rettungsanker. Wenn sich nach 15 Jahren im Warteraum der EU die Tür nicht wenigstens einen Spaltbreit öffnet, könnte sich die ohnehin schon sehr ausgeprägte Abwanderung Richtung Westen noch verstärken. Es droht eine fatale Abwärtsspirale, ein Ende der demokratischen Reformen und womöglich sogar das Aufflammen neuer, blutiger Konflikte.
Wir sollten gelernt haben, dass wir uns von den Folgen solcher Entwicklungen an den Grenzen der EU nicht einfach abkoppeln können. Deswegen sind jetzt auch in unserem eigenen Interesse Lösungen gefragt, die den Balkanländern eine reale EU-Perspektive verschaffen. Zu lange hat sich die EU-Kommission auf den vorhandenen Erweiterungsbaukasten verlassen. Warum nicht über intelligente Alternativen nachdenken, die mit greifbaren Zwischenschritten erst eine wirtschaftliche und dann erst die politische Integration vorantreiben?
EU-Kommissionschef Juncker hat sich die Idee inzwischen zu eigen gemacht und die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums ins Spiel gebracht, eine Art „Zollunion plus“. Es wäre eine Vorstufe, die die Fortschritte der Balkanländer honoriert und eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelt, ohne einen EU-Beitritt zu überstürzen. Denn bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber der ist in diesem Fall vielleicht noch wichtiger als das Ziel.