An der Grenze zwischen Scherz und Schmerz

Berlin. Hellmut Königshaus gab sich gestern deutlich zahmer als in den vergangenen Tagen. Das Krisenmanagement von Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) in den jüngsten Bundeswehraffären wolle er nicht bewerten, "das ist nicht meine Aufgabe", meinte der Wehrbeauftragte bei der Vorstellung seines ersten Jahresberichtes

Berlin. Hellmut Königshaus gab sich gestern deutlich zahmer als in den vergangenen Tagen. Das Krisenmanagement von Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) in den jüngsten Bundeswehraffären wolle er nicht bewerten, "das ist nicht meine Aufgabe", meinte der Wehrbeauftragte bei der Vorstellung seines ersten Jahresberichtes. Und dass in der Bundeswehr fragwürdige "Rituale" zugenommen hätten, "kann ich nicht sehen". Ohnehin war die Botschaft des seit Mai letzten Jahres amtierenden FDP-Mannes eine andere als die, dass die Skandale um das Segelschulschiff "Gorch Fock", um die geöffnete Feldpost und den Tod eines Soldaten beim Hantieren mit einer Waffe weiter Kreise ziehen. Der Truppe drücken die Stiefel an ganz anderen Stellen - bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, beim Sanitätsdienst und beim Thema Führung.Die Affären tauchen im aktuellen Wehrbericht auch nicht auf, da die Vorfälle erst im neuen Jahr bekannt geworden sind. Könighaus betonte, dass es bei der Bundeswehr keine systematischen Verstöße gegen die Menschenwürde und die Grundsätze der inneren Führung gebe. Es gebe jedoch Einzelfälle von nicht hinnehmbaren Ereignissen, denen nachgegangen werden müsse. Diese Vorkommnisse schildert der Bericht anhand von Beispielen: So hielt beim Waffenreinigen ein Stabsunteroffizier zwei Soldatinnen seine ungeladene, jedoch gespannte und entsicherte Waffe an den Kopf. Er betätigte den Abzug und sagte: "Ich töte euch." Der vermeintliche "Scherz" hatte zur Folge, dass der Unteroffizier fristlos entlassen wurde. "Insbesondere jungen Soldaten und unerfahrenen Vorgesetzten fehlt es bisweilen an Wissen und Gespür dafür, wann die Grenzen zum Dienstvergehen überschritten sind", heißt es in dem Bericht.

Weniger Beschwerden 2010

So ließ ein Stabsunteroffizier sechs Rekruten mit Stiefeln und in Feldanzügen über die Bäuche von am Boden liegenden anderen Rekruten laufen. Die Angelegenheit wurde anschließend der Staatsanwaltschaft übergeben. "Oft gehen beleidigende Äußerungen mit anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen einher", meinte der Wehrbeauftragte. Und meist ist Alkohol im Spiel, wenn es dann zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Soldaten kommt. Zudem musste sich der Wehrbeauftragte auch mit dem Problem des Schlafmangels von Rekruten beschäftigen. Durchgehend weniger als sechs Stunden Schlaf sei in einigen Ausbildungseinheiten die Regel gewesen. Das sei nicht hinnehmbar und habe auch nichts "mit Abhärten" zu tun.

Insgesamt ist die Zahl der Beschwerden von Soldaten gesunken: von 5779 Eingaben in 2009 auf 4967 im vergangenen Jahr. Hintergrund ist, dass sich einige Themen aus dem Vorjahr erledigt haben, beispielsweise der Ärger um das Beurteilungswesen. Zu den Problemen im Einsatz gehört laut Wehrbeauftragtem vor allem "die mangelnde Fürsorge". So gebe es oft keine verlässliche Einsatzplanung, und es fehle die Betreuung von Soldaten während und nach dem Einsatz. Deutliche Verbesserungen seien indes bei der Ausrüstung und Bewaffnung erkennbar. Aber: "Ein generelles Problem liegt in der Schwerfälligkeit der Beschaffungsverfahren." Seit mehreren Jahren kann zudem der Sanitätsdienst seine Aufgabe nicht mehr erfüllen, so Königshaus. Inzwischen müsse sogar auf zivile Ärzte und Fachabteilungen der Krankenhäuser zurückgegriffen werden.

Auch was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht, ist die Bundeswehr alles andere als gut aufgestellt. Die Zahl der Ehen von Soldaten steigt, aber bei der Truppe gibt es nur einen Betriebskindergarten, und das ausgerechnet auf dem Gelände des Ministeriums in Bonn. Auch fehlt vielen Vorgesetzten offenbar das Gespür für den Umgang mit Schwangeren - einer hatte Soldatinnen vor einer Impfung befohlen, Schwangerschaftstests machen zu lassen. Ein anderer verbot einer Schwangeren das Betreten aller Diensträume der Kompanie.

Meinung

Führungskräfte gut ausbilden

Von SZ-KorrespondentHagen Strauß

Wenn ein durchgeknallter Unteroffizier Soldaten zum Spaß die Pistole an den Kopf hält, dann ist das gemeingefährlich und eine Straftat, aber nicht die Bundeswehr an sich. Und wenn Rekruten mit abstrusen Ritualen in einigen Kompanien oder auf irgendwelchen Schiffen gegängelt werden, dann ist das schäbig, aber ebenfalls nicht die Bundeswehr als Ganzes.

Auch wenn nun viel über fragwürdige Rituale oder den Drill auf der "Gorch Fock" diskutiert wird, die meisten Soldaten sind sich ihrer Verantwortung sicherlich bewusst. Aber: Es gibt eben auch genau die Probleme, auf die der Wehrbeauftragte gestern deutlich hingewiesen hat. Und die nicht verschwiegen werden dürfen. Insbesondere scheint es um die Führung innerhalb der Truppe an einigen Stellen nicht zum Besten zu stehen. Eine Bundeswehr, die jedoch zunehmend zur Einsatzarmee wird, kann sich solche Defizite nicht leisten. Die Politik ist daher gefordert, bei der Neuausrichtung der Armee darauf zu achten, dass gerade die Qualität der Aus- und Fortbildung nicht leidet.

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