Alles auf Null im Fall Politkowskaja

Moskau. Der erste Prozess um den Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist mit einem Debakel für die russische Staatsanwaltschaft zu Ende gegangen. Schon im August 2007 hatte die Anklagebehörde angesichts des internationalen Drucks den politisch brisanten Fall für gelöst erklärt

Moskau. Der erste Prozess um den Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist mit einem Debakel für die russische Staatsanwaltschaft zu Ende gegangen. Schon im August 2007 hatte die Anklagebehörde angesichts des internationalen Drucks den politisch brisanten Fall für gelöst erklärt. Doch nun verließen die vier als Komplizen in dem Mordprozess Angeklagten das Moskauer Gericht als freie Menschen. Die Beweise für ihre Schuld fehlten. So sehr sich Angehörige und Kollegen der Journalistin der Zeitung "Nowaja Gaseta" eine Aufklärung gewünscht hatten, letztlich wollen sie vor allem, dass die wahren Täter bestraft werden.

"Wir wollen den echten Mörder", betonte die Anwältin der Politkowskaja-Familie, Karina Moskalenko. Der Chefredakteur der "Nowaja Gaseta", Sergej Sokolow, ist sich zwar weiter sicher, dass die Freigelassenen mit dem Mord am 7. Oktober 2006 in Verbindung stehen.

Verteidiger Murat Mussajew konnte aber deutlich machen, dass eine professionelle Bande den Mord ausgeführt habe. Die Ermittler verdächtigen einen zur Fahndung ausgeschriebenen Tschetschenen, Politkowskaja vor ihrer Wohnung mit fünf Schüssen getötet zu haben. Er soll zwei Millionen US-Dollar für die Tat kassiert haben. Bei dem Auftraggeber soll es sich um einen russischen Politiker handeln, hieß es während des Prozesses.

Unter den 13 Morden an russischen Journalisten in der achtjährigen Amtszeit des damaligen Präsidenten Wladimir Putin gilt der Politkowskaja-Fall bis heute als der spektakulärste. Putin hatte eine Beteiligung des Sicherheitsapparats stets ausgeschlossen. Bis zuletzt beteuerten die Angeklagten, unter ihnen zwei Tschetschenen, ein Ex-Polizist und ein früherer Geheimdienstmitarbeiter, vor dem Gericht an der Touristenmeile Alter Arbat ihre Unschuld. Alle Beteiligten - außer der Staatsanwaltschaft - bezweifelten, dass diese Männer, wie in der Anklage beschrieben, den Mord an der Reporterin organisiert haben.

Die beiden Tschetschenen betonten in ihren Schlussworten, dass sie Politkowskajas Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet Tschetschenien geschätzt hätten. Sie atmeten erleichtert auf, als Richter Jewgeni Subow immer wieder das Wort "unschuldig" aussprach. Er hatte den Geschworenen ins Gewissen geredet: "Hören Sie auf Ihre innere Stimme." Alle zwölf Jury-Mitglieder entschieden sich für Freispruch. Letztlich öffnete die Polizei unter dem Beifall der Angehörigen den Käfig, in dem die Angeklagten während des Prozesses gesessen hatten.

"Im Zweifel für den Angeklagten" - dieses Prinzip galt bisher nur selten in Russland. Auch die Beschuldigten im Politkowskaja-Prozess mussten damit rechnen, dass eine Anklage in Russland fast immer eine Strafe nach sich zieht. "Das ist ein seltenes Beispiel für Rechtsstaatlichkeit in Russland", sagte die Anwältin Moskalenko dem Radio Echo Moskwy. Bisher hatten Menschenrechtler oft beklagt, dass russische Strafverfahren vielfach politisch gesteuert seien. Dabei forderte Präsident Dmitri Medwedew die als korrupt geltenden Gerichte in Russland immer wieder dazu auf, sich für mehr Rechtsstaatlichkeit und Glaubwürdigkeit einzusetzen. Vermutlich auch, weil diesen Worten bisher kaum Taten folgten, mutmaßte Verteidiger Mussajew, dass der Freispruch in dem von der Staatsanwaltschaft beantragten Berufungsverfahren doch noch kassiert wird. Nun aber heißt es erst einmal: Alles wieder auf Null.

Meinung

Unglaublich, aber wahr

Von SZ-Mitarbeiter

Ulrich Heyden

Mehr als zwei Jahre nach dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja ist die russische Justiz immer noch nicht viel weiter. Drei Angeklagte muss man wegen Mangels an Beweisen freisprechen. Das schafft kein Vertrauen in die Rechtsschutzorgane. Schlecht vorbereitete Akten, Beweisstücke, die verloren gehen, Beweisstücke, die sich widersprechen, das alles spricht nicht gerade für eine gute Prozess-Vorbereitung, und es stellt sich die Frage: Ist die russische Staatsanwaltschaft wirklich an einer Aufklärung dieses Mordes interessiert? Oder ging es nur darum, der Welt zu zeigen, dass man nicht zur Tagesordnung übergeht? Kaum zu glauben, dass in einer Stadt, wo an fast jeder Ecke eine Überwachungskamera hängt, die Mörder ihr Opfer wochenlang unbeobachtet beschatten können. Kaum zu glauben, dass der russische Geheimdienst davon nichts mitbekommt.

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