500 Euro pro Monat in Unfreiheit

So ganz wohl schien dem Vorsitzenden Richter bei der Sache nicht zu sein, und deshalb tat Wolfgang Schlick so, als habe der Bundesgerichtshof gar nicht viel zu entscheiden gehabt: Straftäter haben Anspruch auf Schadenersatz, wenn sie zu lange in Sicherungsverwahrung gesperrt waren – im Grunde folge das schon aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2009, sagte Schlick. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: Das Land Baden-Württemberg weigerte sich über drei Instanzen hinweg, ehemaligen Sicherungsverwahrten eine Entschädigung zu zahlen – auch wenn es am Schluss vor allem darum ging, ob das Land oder der Bund zahlen muss.

Mit der Entscheidung des BGH ist nun erstmals höchstrichterlich entschieden: Die Länder müssen Straftäter, die zu lange in Sicherungsverwahrung saßen, entschädigen. Bundesweit könnten mehr als 100 Straftäter von dem Urteil profitieren. Das Saarland meldet 13 Sicherungsverwahrte, inwieweit sie Ansprüche geltend machen können, ist aber offen. Für den inzwischen freigelassenen ehemaligen Sexualtäter Walter H. hat das Urteil nach Aussage seines Anwalts Michael Rehberger keine Auswirkungen. Es beziehe sich auf die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung, die als rechtswidrig eingestuft wurde. Hingegen sei die Sicherungsverwahrung gegen seinen Mandanten nie rechtskräftig geworden.

Geklagt hatten in dem konkreten Fall vier ehemalige Sicherungsverwahrte aus Vollzugsanstalten in Baden-Württemberg. Richter Schlick betonte, dass die Beteiligten nach bestem Gewissen gehandelt hätten. Schließlich habe auch das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur Sicherungsverwahrung zunächst bestätigt. "Man muss sich vorstellen, wie die Reaktion der Öffentlichkeit aussieht, wenn einer dieser Täter rückfällig wird." Man müsse aber damit leben, dass die Gerichte europäisches Recht anwenden.

500 Euro pro Monat sollen die Männer nun bekommen. Über die Zeit kommen dabei erkleckliche Summen zusammen. Im Fall W. zum Beispiel: 1981 wurde W. unter anderem wegen Vergewaltigung zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nachdem er seine Strafe verbüßt hatte, kam er in Sicherungsverwahrung. Damals galt eine Höchstgrenze von zehn Jahren. 1998 hätte W. also freikommen müssen, aber vorher wurden die Gesetze verschärft: Nun war eine unbegrenzte Verwahrung möglich, solange jemand als gefährlich galt, gemäß dem Motto "Wegsperren - und zwar für immer". 2009 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese rückwirkende Verlängerung für rechtswidrig. W. kam im Jahr 2010 frei. Zwölf Jahre hatte er zu Unrecht in Sicherungsverwahrung gesessen. 73 000 Euro Entschädigung bekommt der heute 56-Jährige nun. Die drei anderen Kläger, die kürzer einsaßen, erhalten Entschädigungen zwischen 49 000 und 65 000 Euro.

Was die Männer mit dem Geld machen? Schon in der Vorinstanz hatte einer der Richter angeregt, sie sollten es doch verwenden, um das Leid ihrer Opfer wiedergutzumachen. Für die Männer gehe es zunächst darum, sich wieder eine bürgerliche Existenz aufzubauen, sagt dagegen Rechtsanwalt Ekkehard Kiesswetter, der drei der Kläger vertritt. "Hier geht es darum, staatliches Unrecht auszugleichen. Das hat mit der ursprünglichen Tat nichts zu tun; dafür haben sie gebüßt."

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