Der Tiger und die Dame im Spiel

Peer Steinbrück sagt selbst, dass er „wie ein hospitalisiertes Raubtier“ auf der Bühne „herumtigert“. Er wirkt aufgedreht, redet ohne Punkt und Komma, wechselt zwischen Witz, Ernst, Drohung.

Sein Publikum ist begeistert. Zufrieden sind sie jetzt mit ihm in der SPD. "Nur", fürchtet einer aus seinem Team, "hätten wir vielleicht zwei Wochen mehr gebraucht." Im Schlussspurt holt der Herausforderer auf. Die Amtsinhaberin wirkt da vergleichsweise verhalten. Oder ist Angela Merkel nur ruhig, weil sie sich sicher ist, dass sie weiter regieren wird?

Hamburg, Mittwochabend. Schauplatz für den Beginn des Showdowns. Beide Kanzlerkandidaten reden zur gleichen Zeit, vier Kilometer voneinander entfernt. Beide sind in der Hansestadt geboren. Es ist purer Zufall, schwören die Organisatoren in den Parteizentralen.

"Angie, Angie", skandieren sie in der Fischauktionshalle direkt an der Elbe. Dicht an dicht stehen die 4000 Anhänger, es riecht nach Krakauern und Kräuterbraten, das Bier fließt in Strömen. Eine Band spielt Roland Kaiser: "Schachmatt durch die Dame im Spiel." Störer, gegen die sie sonst auf den Marktplätzen immer zu kämpfen gehabt hat, müssen draußen bleiben. Merkel spricht von Jüngeren, Älteren, von Menschen mit handwerklichen oder technischen Fähigkeiten, denen man Möglichkeiten eröffnen müsse, ihre Talente einzubringen. Wenn ihr mich wählt, gibt es vier weitere gute Jahre, das ist ihre Botschaft. Sie will möglichst jedem eine Berufsausbildung zur Verfügung stellen, wer Vollzeit arbeite, müsse auch von seinem Lohn leben können.

"Wir glauben nicht, dass man Ihnen sagen muss, wann Sie Fleisch essen und wann nicht" - für die Anspielung auf den Veggie-Day der Grünen erntet sie den lautesten Applaus. Vor allem geht es Merkel darum, zu motivieren, ihrer Partei zu sagen, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist. "Die nächsten vier Jahre sind wichtig", betont sie düster. Der Name Peer Steinbrück kommt bei ihr kein einziges Mal vor. Stattdessen wirbt sie hartnäckig um die Zweitstimme. Nach gut 30 Minuten ist die Rede beendet. "Beide Stimmen für die CDU, dass würde mir am besten gefallen", ruft Merkel in den Saal. Die Band darf noch einmal ran - "Wonderful World".

Das mit der Zweitstimme hat sich erst in den letzten Tagen in die Reden Merkels geschlichen. Seit der Bayern-Wahl. Sie fürchtet, dass zu viele CDU-Wähler aus Mitleid oder taktischen Gründen zur FDP schwenken könnten - und beiden am Ende die Mehrheit fehlt. So wie im Januar in Niedersachsen. Die Union lässt deshalb in letzter Minute einen Brief Merkels an fünf Millionen Haushalte verschicken. "Wenn Sie möchten, dass ich weiter als Ihre Kanzlerin arbeiten kann, dann geben Sie beide Stimmen der CDU." Diese Zweistimmenkampagne ist die einzige Zuspitzung, die Merkel sich und ihrer Partei im Wahlkampf erlaubt. Ansonsten heißt die Losung: Die Stimmung dämpfen, nicht polarisieren. Weiter so. Das Programm ist die Kanzlerin.

Merkel ist erst spät in den Wahlkampf gestartet, vor fünf Wochen. Vorher hat sie ganz normal Urlaub gemacht. Sie absolviert allerdings mehr Auftritte als Steinbrück, rund 40 Großkundgebungen. Immer zwei an einem Tag. Ihr Hubschrauber steigt fast täglich mittags aus dem Kanzlergarten auf und kehrt abends zurück. Steinbrück hingegen lebt schon seit Monaten fast nur noch im Hotel. Er bleibt immer einen ganzen Tag in einer Region, klingelt bei Leuten zu Hause, besucht Betriebe. Steinbrück wird mit dem Auto chauffiert.

Unter dem runden SPD-Zeltdach am Speersort spielen sie Peter Fox, "Haus am See". "Ich hab den Tag auf meiner Seite, ich hab Rückenwind." Die Stimmung ist fröhlich. Steinbrück springt schwungvoll auf die Bühne, zeigt das Victory-Zeichen und reißt erstmal ein paar Witze. Zum Beispiel, dass ihn gar nicht stört, dass Angela Merkel gerade am Fischmarkt redet. "Da war ich mal Parkwächter. Hab mich hochgearbeitet. Von den Motorrädern zu den Autos. Das war mal eine Karriere." Sie lachen viel bei der SPD an diesem Abend. Anschließend werden Fragen der Bürger vorgelesen. Einige lassen sich von Steinbrücks lustiger Stimmung mitreißen: "Welches Ministeramt bekommt Frau Merkel unter Ihrer Kanzlerschaft?" "Oha", sagt Steinbrück. "Ich glaub Ministerin für Ungefähres." Das löst einen Lach- und Beifallssturm aus. Aber dann ist er schnell bei der Abschaffung des "saudämlichen Betreuungsgeldes". Und beim Mindestlohn, bei dem man sich sehr wohl von dem unterscheide, was Merkel wahrscheinlich am Fischmarkt verspreche.

Es ist ein Fernduell auf vier Kilometer Distanz. Die Kanzlerin versucht es ebenfalls mit einem lockeren Spruch. Sie spricht über Unternehmensgründer: "Ich weiß nicht, ob mir so eine Idee kommen würde, dass mir jemand das dann anschließend abkauft." Gelächter in der Auktionshalle.

Seit dem TV-Duell fühlt sich Steinbrück mit der Amtsinhaberin auf Augenhöhe. Mindestens. Seitdem ist er offensiver. Er teilt aus. Die Presse bekommt immer ihr Fett weg. Und für den Stinkefinger schämt er sich nicht. Wer den Humor nicht habe, solle zum Lachen in den Keller gehen. Steinbrück ruft zur Abwahl Merkels auf. "In vier Tagen können Sie sie los sein. Können Sie die tatenloseste, zerstrittenste, rückwärts gewandteste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung loswerden." Dafür bekommt er Riesenbeifall. Merkel dagegen betont, wie erfolgreich ihre Regierung gerade in der Eurokrise gewesen sei. Und schenkt sich scharfe Angriffe.

Am Donnerstagabend geht das Duell weiter. Sie ist zur "Abschlusskundgebung" der hessischen CDU nach Fulda geflogen. Er tritt auf dem Alexanderplatz in Berlin auf. Bei der SPD nennen sie es "Auftakt zum Endspurt". Hier singt Roland Kaiser selbst. Es geht um die noch unentschlossenen Wähler. Steinbrücks Hoffnung. 72 Stunden lang soll ohne Pause im Internet und auf den Straßen agitiert werden. Sogar Sonntag noch hat der Herausforderer in Bonn eine kleine Veranstaltung. "Unser Finale", sagen sie im Wahlkampfstab. Demgegenüber schaltet die Union noch einmal Anzeigen in über 100 Zeitungen. Merkel muss ihre Wähler mobilisieren. Bei der CDU heißt es auf den letzten Metern: "Alle Kräfte bündeln." Ausgang offen.

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Auf einen BlickDie wichtigsten Termine des Wahlkampf-Finales: Freitag: CDU-Chefin Merkel tritt am Nachmittag in Hannover und abends in München auf, ihr SPD-Herausforderer Steinbrück in Hessen (Wiesbaden, Marburg, Kassel). FDP-Spitzenmann Brüderle macht gemeinsam mit Parteichef Rösler Wahlkampf in Frankfurt. Die Grünen-Spitzenkandidaten Trittin und Göring-Eckardt sind in Berlin. Der zentrale Wahlkampfabschluss der Linken findet auf dem Berliner Alexanderplatz statt. Samstag: Merkel will auch am Tag vor der Wahl noch bei zwei Veranstaltungen um Stimmen werben: in Berlin bei der Abschlussveranstaltung ihrer Partei und danach in ihrem Wahlkreis in Stralsund. Steinbrück tritt um 12 Uhr in Frankfurt auf. Die bundesweite FDP-Abschlusskundgebung findet in Düsseldorf statt. Linken-Spitzenkandidat Gysi absolviert seinen letzten Auftritt vor der Wahl in Brandenburg an der Havel. Am Abend treten Spitzenpolitiker dann in der Live-Sendung "TV total Bundestagswahl" mit Stefan Raab im Sender ProSieben auf. Mit dabei sind Aigner (CSU), Laschet (CDU), Oppermann (SPD), Brüderle, Trittin und Gysi. dpa

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